Volkswagen muss im Dieselskandal weit mehr zahlen als ein General Motors, wo Fahrzeugmängel mit mehr als hundert Todesfällen in Verbindung gebracht werden. Foto: dpa

Die USA haben einen globalen Geltungsanspruch, doch im VW-Dieselskandal werden sie diesem nicht gerecht.

Stuttgart - Im Jahr 2001 machten Ingenieure beim amerikanischen Autohersteller General Motors (GM) eine beunruhigende Entdeckung: Wenn der Autoschlüssel an einem Schlüsselbund hängt, kann sich seine Position im Zündschloss verändern. Das wiederum kann dazu führen, dass sich der Motor abschaltet und das Lenkrad einrastet. Dann aber kommt das Fahrzeug von der Straße ab. Und fatalerweise ist dann auch die Bordelektronik abgeschaltet, so dass bei einem Unfall nicht einmal der Airbag auslöst. Aus vielerlei Gründen aber dauerte es bis zum Jahr 2014, bis sich der Konzern entschloss, eine Serie von Rückrufen zu starten. Die fehlerhaften Zündschlösser kosteten wohl mehr als 120 Menschen das Leben. Am Ende zahlte GM 900 Millionen Dollar Strafe, für die Angehörigen der Toten gab es weitere 600 Millionen Dollar. Macht zusammen 1,5 Milliarden Dollar und damit etwa ein Zehntel dessen, was nun der VW-Konzern als erste Rate für die Betrügereien bei Dieselabgasen zahlen muss.

Nun ist das, was VW mit seinen Dieselmotoren gemacht hat, alles andere als eine Lappalie. Wer Kunden und Behörden jahrelang täuscht, bettelt geradezu um eine harte Strafe. Die hat Volkswagen nun auch bekommen: Bis zu 13 Milliarden Euro soll das Unternehmen in den USA zahlen, weil die Zwei-Liter-Motoren manipuliert waren. Weitere Sanktionen, etwa für die Drei-Liter-Motoren, kommen noch dazu. Bis zu neun Milliarden Euro wird es allein kosten, rund 480 000 Autos zu reparieren oder zurückzukaufen und zudem die bereits entschädigten Kunden noch einmal zu entschädigen.

5000 Euro und mehr als Entschädigung für den gewiss lästigen Weg in die Werkstatt – das ist für die Autokäufer ein Stundenlohn, auf den selbst die hoch bezahlten US-Anwälte neidisch sein dürften, die mit dem Fall befasst sind. Für die Beschwernisse der US-Kunden muss VW weit mehr ausgeben als seinerzeit GM für die Angehörigen von über 100 Toten. Und VW muss schon jetzt fast so viel zahlen wie seinerzeit der Ölkonzern BP für die Explosion seiner Plattform Deepwater Horizon, bei der elf Menschen starben und 500 Millionen Liter Öl ausgelaufen sind, die 2000 Kilometer Küste verschmutzten. Auch hier stellt sich die Frage nach dem Augenmaß, so inakzeptabel die Abgasmanipulation bei VW auch war.

Die US-Maßstäbe sind so hoch, dass sie auf globaler Basis gar nicht erfüllbar wären

Die USA legen hohe Maßstäbe an das Wohlverhalten von Unternehmen an und erwarten dieses weltweit. Doch legt man diesen universalen Geltungsanspruch bei VW an, so würde dies bedeuten, dass allein für die Entschädigung der Diesel-Kunden rund 200 Milliarden Euro anfallen würden. Selbst wenn die Aktionäre den gesamten VW-Konzern an die Kunden verschenken würden, käme nicht einmal ein Drittel dieser Summe zusammen. Wer auch nur annähernd eine Behandlung aller Kunden nach US-Maßstäben fordert, verlangt die Pleite von VW.

VW zahlt zumindest teilweise den Preis für Mängel des US-Rechtssystems, die bei GM zutage getreten sind. Anders als in Deutschland können Autofahrer in den USA nicht gezwungen werden, einem Rückruf zu folgen. Selbst die lebensgefährlichen Mängel bei den Zündschlössern führten nicht dazu, dass die Autofahrer in Scharen in die Werkstätten strömten. Daraus haben die US-Behörden nun bei VW die Lehre gezogen, harte Vorgaben für die Zahl der zu reparierenden Fahrzeuge zu machen. Somit bleibt VW wenig anderes übrig, als die Käufer mit Entschädigungszahlungen in die Werkstätten zu locken. Das aber ist so teuer, dass für Kunden in anderen Ländern nichts mehr übrig bleibt. Die Weltpolizei USA mag oft Gutes bezwecken – strikte Neutralität darf man von ihr aber gewiss nicht erwarten.

klaus.koester@stuttgarter-nachrichten.de