Viele Eltern stehen vor der Frage: Gebe ich meine Kinder in eine Kita oder betreue ich sie zu Hause? Foto: dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld gekippt. Das kann für Familien ein Segen sein – wenn die Politik richtig reagiert, findet Politik-Redakteurin Almut Siefert.

Stuttgart - Wenn Horst Seehofer eines kann, dann sind es hochtrabende Statements. Am Montag hatte der bayerische Ministerpräsident noch verkündet, er hoffe, dass die Karlsruher Richter „ein Herz für Familien und Kinder“ hätten. Am Dienstagmorgen aber zeigte sich: Sie haben es nicht – zumindest, wenn man Seehofers Lesart folgen mag. Geht es nach dem bayrischen Ministerpräsidenten, sitzen auf der Richterbank des Bundesverfassungsgerichts also herzlose Kinderhasser. Denn das Gericht bewertet das von der CSU und vor allem von Seehofer so hoch geschätzte Betreuungsgeld als verfassungswidrig. Was weniger mit Herzlosigkeit und Kinderhass zu tun hat als mit unverklärtem Realitätssinn.

Das Urteil des Verfassungsgerichts hat zwar vor allem formale Hintergründe. Der Bund ist demnach schlicht nicht zuständig. Der inhaltliche Ball wird somit wieder an die Politik zurückgespielt. Doch egal, ob formal oder inhaltlich: Es ist ein Segen, dass das höchste deutsche Gericht einen schlimmen Fauxpas der Familien- und Sozialpolitik korrigiert.

Die Befürworter des Betreuungsgeldes haben immer vehement betont, es gewährleiste die freie Auswahl der Eltern. Als hätten sie diese nicht schon vorher gehabt. Es steht jedem Menschen frei, ob Mann oder Frau, ob alleinerziehend oder in Partnerschaft lebend, sein Kind zu Hause zu betreuen oder es in einer Kindertagesstätte unterzubringen. Die Frage ist eine andere: Warum müssen die einen für ihre Wahl der Kinderbetreuung bezahlen und die anderen für ihre Wahl bezahlt werden? Immerhin kostet die Kinderbetreuung in mancher Großstadt zwischen 300 und 500 Euro – im Monat.

Wer seine Kinder lieber privat betreuen wollte, statt sie in einer Kindertagesstätte unterzubringen, konnte vom 1. August 2013 an das Betreuungsgeld von mittlerweile 150 Euro im Monat beantragen. Das ist seit gestern mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht mehr möglich. Falls ein Bundesland – wie Bayern dies bereits vollmundig ankündigt – am Betreuungsgeld festhalten will, muss es deshalb erst eine neue Rechtsgrundlage schaffen. Baden-Württemberg hat dem bereits eine Absage erteilt. Im Südwesten wird es das Betreuungsgeld unter Grün-Rot nicht mehr geben. Und das ist gut so.

Seine Einführung war schließlich nichts weiter als eine politische Kraftmeierei der CSU, die damit ihre bayerisch-konservative Wählerschaft bei Laune halten wollte. Neben der Pkw-Maut von Verkehrsminister Alexander Dobrindt, die von der EU-Kommission erst einmal gestoppt worden ist, ist das Betreuungsgeld das zweite Großprojekt der Christsozialen, das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Wie viel Zeit, Arbeitskraft und Geld in solchen Seifenblasen verpuffen, sei dahingestellt. Allein Baden-Württemberg hat der L-Bank für die Verwaltung des Betreuungsgeldes rund sechs Millionen Euro gezahlt.

Der Ball liegt nun bei der SPD. Und bei Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. Es ist an ihr und ihrer Partei, aus dem formalen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes inhaltlich Kapital zu schlagen. Sie haben nun die Chance, der Großen Koalition etwas mehr sozialdemokratischen Hauch zu verleihen. Die 900 Millionen Euro, die für das Betreuungsgeld im Bundeshaushalt 2015 eingeplant sind, wären zum Beispiel sinnvoller im Ausbau der Kindertagesstätten investiert. Oder darin, sie kostenlos und rund um die Uhr 24 Stunden zur Verfügung zu stellen – nicht jeder hat Arbeitszeiten von 8 bis 17 Uhr. Nur mit solchen Maßnahmen hätten Eltern wirklich die freie Wahl, wie sie ihr Familienleben organisieren.