Der VfB will seine Fans mit auf die Reise in die Zukunft nehmen Foto: Baumann

Die Konkurrenz in der Bundesliga entwickelt sich weiter, beim VfB Stuttgart ist aber noch immer alles auf Kante genäht, schreibt StN-Sportchef im Leitartikel. Höchste Zeit, um die Lücke zu schließen. Aber der Spagat zwischen Tradition und Erneuerung ist schwierig.

Stuttgart - Der VfB-Aufsichtsrat seufzte tief, hob die Hand und zählte Finger um Finger auf: Das Labyrinth aus Gesellschaften, Abteilungen, Direktoren und Zuständigkeiten wurde gestrafft, der Vorstand personell und strukturell umgebaut, das Markenprofil geschärft, die Spielphilosophie angepasst, die Einnahmen trotz sportlichen Sinkflugs gesteigert. „Wir haben alles gemacht, was notwendig war, um den VfB Stuttgart wieder aufs Gleis zu setzen“, beharrte der Vereinskontrolleur und fügte betroffen hinzu: „Aber es ist wie sonst auch im Geschäftsleben. Solche Veränderungen entfalten ihre Wirkung nicht von heute auf morgen.“

Er hätte auch sagen können: Der VfB Stuttgart läuft der Entwicklung in der Bundesliga hinterher. Und wer die Lücke schließen will, sollte nach Möglichkeit nicht ins Stolpern geraten. So betrachtet war es ein grober Fauxpas, Alexander Zorniger als Trainer für eine Mannschaft zu verpflichten, die noch nicht bereit war für seine Experimente. Aber irgendwie steht dieser Fehlgriff auch sinnbildlich für den Spagat zwischen Tradition und Erneuerung mit dem sich nicht nur die Manitus vom Cannstatter Wasen schwer tun. Statt geduldig und Schritt für Schritt wieder zur Konkurrenz aufzuschließen, neigt der eine oder andere dazu, unter dem Druck der Erwartungen einen Sprint zu riskieren.

Zehren von der Substanz

Das ist schade für Präsident Bernd Wahler und sehr schade für Sportvorstand Robin Dutt. Denn beide haben, auch mit Hilfe der Aufsichtsräte, eine personelle, strukturelle und konzeptionelle Wende eingeleitet, die überfällig war. Im Grunde lebte der Verein nach einer Reihe von Fehleinkäufen im Anschluss an die deutsche Meisterschaft 2007 nur noch von seiner Substanz. Der Stadionumbau zehrte an der Kapitaldecke, und wo im Nachwuchsbereich Qualität den Verein verließ, gab es an einigen Stellen keinen gleichwertigen Ersatz. Das Scouting funktioniert sicher nicht optimal, den Talent-Spähern allein den sportlichen Sinkflug anzulasten, wird dem Problem aber nicht gerecht.

Zur Wahrheit gehört auch, dass es dem VfB schon am Ende der Dienstzeit von Präsident Erwin Staudt an der Führungskraft fehlte, die das Geflecht unterschiedlicher Interessengruppen vor dem einen und einzigen Ziel versammelte: dem sportlichen Erfolg. Man würde dem aktuellen VfB-Chef Bernd Wahler vielleicht etwas mehr Strahlkraft wünschen, aber er hat nach kurzer Zeit erkannt, dass es mit schönen Reden allein nicht getan ist. Die dringlichsten Baustellen jedenfalls sind abgearbeitet. Jetzt wagt er sich an die wohl schwerste Aufgabe: den VfB als Unternehmen so zu formatieren, dass er für Investoren und Sponsoren gleichermaßen ein attraktiver Partner bleibt. Wohl nie hat ein Bundesligaclub so aufwendig versucht, seine Mitglieder mit auf die Reise in die Zukunft zu nehmen. Das hat auch damit zu tun, dass ein Teil der Fans der Führungscrew nicht zutraut, den finanziellen Einmaleffekt durch frisches Kapital sportlich wie wirtschaftlich gewinnbringend zu investieren.

Die richtigen Hebel bewegen

Aber ganz gleich wie die Mitglieder im Sommer nächsten Jahres über eine Ausgliederung der Profiabteilung entscheiden, jedem dürfte klar sein: Dem Verein läuft die Zeit davon.Die Konkurrenz entwickelt sich weiter, beim VfB bleibt immer alles auf Kante genäht. Und deshalb wird viel davon abhängen, ob der neue Trainer Jürgen Kramny die richtigen Hebel bewegt, ob es Sportvorstand Robin Dutt gelingt, die Mannschaft in der Winterpause spürbar zu verstärken und wie sich der Wohlfühlfaktor der Fans bis zum Saisonende entwickelt. Der VfB-Aufsichtsrat würde sagen: „Wir sind auf dem richtigen Weg. Aber links und rechts tun sich tiefe Schluchten auf.“

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