Seit Jahrhunderten ist es in Westeuropa das gleiche Bild: Geraten Gesellschaften in wirtschaftliche Schwierigkeiten, steigt die Zahl der Stiftungen. Foto: dpa

Die Zahl der Stiftungen in Deutschland steigt kontinuierlich. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten übernehmen Stiftungen die Aufgabe eines Schrittmachers. Partizipation als Zauberwort macht aus bloßem Ehrenamt ein zeitgerechtes Mitgestalten, findet Kultur-Ressortleiter Nikolai B. Forstbauer.

Erwin Teufel, von 1991 bis 2005 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ließ bei einem Thema nie locker. Eine Stifterrepublik müsse Deutschland werden, sagte Teufel immer wieder. Er argumentierte grundsolide. Ein Land, das über ehrenamtliches Engagement Rückendeckung und Impulse erhält, müsse interessiert sein, finanziellen Vorsprung in gesellschaftlichen Vorsprung umzuwandeln. Teufels Initiative zielte dabei ebenso auf vermögende Einzelpersonen wie auf die im Südwesten hohe Zahl von Familienunternehmen. Die Stiftung als Fortsetzung des gesellschaftlich unverzichtbaren Ehrenamtes mit anderen Mitteln? Manche, die seinerzeit den Kopf schüttelten – über den vorgeblich überkommenen Dauereinsatz Ehrenamtlicher etwa in der Vereinsarbeit oder auch über den vermeintlichen Irrweg, gesellschaftlich wichtige Aufgaben durch private Impulse zu lösen –, gehen unter neuen Vorzeichen exakt diesen Weg.

Partizipation als Zauberwort macht aus bloßem Ehrenamt ein zeitgerechtes Mitgestalten. Und die Bürgerstiftung als Weg einer auf Finanzzuwachs durch ein Plus an Mitstreitern für ein Thema oder eine Einrichtung setzenden Fördermöglichkeit sorgt gar für Diskussionen über ein neues bürgerliches Selbstbewusstsein. Was man lieber verschweigt: Nicht anders als bei vermögensbasierten Stiftungen ist auch bei Bürgerstiftungen die Gefahr groß, dass sie Aufgaben wahrnehmen, die doch zutiefst öffentliche Aufgaben sind.

Seit Jahrhunderten ist es in Westeuropa das gleiche Bild: Geraten Gesellschaften in wirtschaftliche Schwierigkeiten, steigt die Zahl der Stiftungen. Das Gefühl, Vermögen langfristig sichern zu wollen, geht offenbar Hand in Hand mit dem Gefühl, selbst etwas tun zu wollen. Wer stiftet, will lenken. Muss uns dann die aktuell schnell und kontinuierlich steigende Zahl von Stiftungen beunruhigen? Als Signal für Sicherungsmaßnahmen gegen den immer wieder gerne beschworenen großen Knall?

Zur Erinnerung: Eine Stiftung wird gegründet, um ein Vermögen einem festgelegten Zweck zukommen zu lassen. Ziel ist, das Vermögen langfristig zu erhalten und so anzulegen, dass es Erträge bringt, die dann dem Stiftungszweck zugeführt werden. Die Sache mit dem Anlegen und den Erträgen ist jedoch schwierig geworden, und so erklärt sich auch, weshalb längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand über das Thema Unterfinanzierung von Stiftungen gesprochen wird. Ist also der Anstieg der Stiftungen bürgerlichen Rechts in Deutschland auf jetzt mehr als 22 000 eine Scheinblüte, die gleichermaßen auf schnelle Aufmerksamkeit und langfristige Steuervorteile zielt? „Eine Scheinblüte sehe ich nicht“, sagt Kurt W. Liedtke, Vorsitzender des Kuratoriums der Bosch-Stiftung.

Tatsächlich gehen die Vorbehalte gegenüber Stiftungen am Kern ihrer Aufgaben und Ziele weit vorbei. Auch dort, wo sie – wie häufig auf kulturellem Feld – einen in sich klaren und abgesicherten thematischen oder organisatorischen Stifterauftrag haben, stehen sie im Wettbewerb. Erst recht aber, wenn sie sich auf breiterer Vermögensbasis bewegen können. Und so haben Stiftungen wie im Südwesten die Bosch-Stiftung, die Dietmar-Hopp-Stiftung, die Reinhold-Würth-Stiftung oder auch die Gipps-Schüle-Stiftung längst die Rolle von Impulsgebern übernommen. Sie springen nicht ein, wenn sich die öffentliche Hand zurückzieht, sondern sie betreten im Gegenteil thematisches Neuland. Stiftungen sind so Schrittmacher – vor allem in den Bereichen Medizin und Bildung.

n.forstbauer@stn.zgs.de