Der neue Ministerpräsident von Griechenland: Alexis Tsipras. Foto: ANA-MPA

Griechenland hat eine neue Regierung. Der Sieg der griechischen Linken stellt die Spar-Uhr in Europa neu. Ein Kommentar von Wolfgang Molitor.

„Es gibt nichts Schlechtes, an dem nicht auch etwas Gutes ist.“ Sagt ein altes griechisches Sprichwort. Und so könnte der Wahltriumph des Radikallinken Alexis Tsipras zumindest für Griechenland durchaus sein Gutes haben. Denn wie man es auch dreht und wendet: Das Land ist von einer korrupten, verfilzten und eigensüchtigen Elite in Politik und Wirtschaft derart heruntergewirtschaftet worden, dass offensichtlich nur eine radikale Wende Hoffnung auf spürbare Linderung, wenn schon nicht auf dauerhafte Heilung macht.

Der Rest Europas sollte sich nicht täuschen: Ein Großteil der Griechen weiß sehr wohl, dass die Riesenprobleme im eigenen Land seit Jahrzehnten hausgemacht sind. Er lehnt den von der aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank – der Gläubiger-Troika – erzwungenen Sparkurs der konservativen und sozialdemokratischen Vorgängerregierungen deshalb nicht nur nicht aus Unverstand, Uneinsichtigkeit oder verletztem Stolz ab.

Aber die Griechen haben die ersten kleinen Reformerfolge schlichtweg nicht am eigenen Leib, im eigenen Geldbeutel erfahren. Deshalb haben sie dem Geber-Europa eine Lehre erteilt. All jenen, die noch immer glauben, man dürfe von einem maroden Staat harte Reformen fordern und dabei die Folgen für das einfache Volk aus den Augen verlieren. Die Troika hat es an Sensibilität oft fehlen lassen. Ihr Motto, für das die halbentschlossene Vetterles-Regierung Antonis Samaras jetzt die Quittung bekommen hat, heißt bis heute kühl: „Hundert Tritte in einen fremden Hintern tun nicht weh.“ Auch ein griechisches Sprichwort.

Die EU-Finanzminister werden gestern bei ihrem Treffen in Brüssel darüber sinniert haben, wie es nun weitergehen soll. Natürlich wird auch das seltsame griechische Regierungsbündnis aus beherrschenden Radikallinken und beiläufigen Rechtspopulisten die bestehenden Verträge nicht einfach auszuhebeln versuchen. Der aberwitzige Tsipras-Ruf nach einem abenteuerlichen Schuldenschnitt wird unerhört verhallen. Und doch deutet sich bereits einen Tag nach dem grandiosen Tsipras-Sieg etwas Unerhörtes an: Die Spar-Uhr wird neu gestellt.

In Brüssel wie in Berlin weiß man, dass man Tsipras nicht einfach in den Arm fallen kann, sollte er tatsächlich versuchen, seine unbezahlbaren Wahlversprechen in die Tat umzusetzen. Auch ein Ausschluss oder Austritt aus der Euro-Zone steht aktuell nicht zur Debatte. Nicht mal als Drohkulisse. Und so wird es hohe diplomatische Kunst erfordern, einerseits Problemstaaten wie Spanien, Frankreich und Italien nicht zu griechischem Pleite-Hochmut und bequemem Reform-Stopp zu ermuntern, andererseits aber Wachstumsimpulse zuzulassen, die den harten Sparkurs sprengen.

Berlin wird sich der Kredit-Wende kaum widersetzen können. Schon jetzt steht die Wirtschaftswunder-Kanzlerin nicht nur in Athen, sondern auch in Rom und Madrid für ein herrisches Spardiktat. Auch in der Großen Koalition dürften lauter werdende Rufe aus der SPD, kostspieliges Euro-Entgegenkommen zu zeigen, bei Angela Merkel und ihrem Finanzminister für größere Verstimmung wie für neue Beweglichkeit sorgen. Inklusive dem bitteren Eingeständnis, dass die Kreditbürgschaft über 53 Milliarden Euro doch zum Bumerang für den deutschen Steuerzahler werden dürfte.

Um Merkel wird es einsam. Innenpolitisch drohen ihr schwere Blessuren, sollte sie Zugeständnisse machen müssen, um den Euro nicht weiter zu beschädigen. Auch wenn ein Kompromiss riskant ist – unmöglich scheint er nicht. „Das Schwierige ist schön“, hat der Philosoph Plutarch gesagt. Man darf ergänzen: und unverschämt teuer.