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Das ­Betreuungsgeld­ wirkt wie eine unausgegorene, mehr der Parteilinie als dem Familienwohl Rechnung tragende Blockadealternative zum Kita-Rechtsanspruch. Ein verzichtbares Modell. Den Richtern dürfte es nicht leichtfallen, die rechtliche Einordnung von der politischen Bewertung getrennt zu halten, meint unser Kommentator Wolfgang Molitor.

Karlsruhe/Stuttgart - Es geht um Rechtmäßigkeit. Nicht um Sinnhaftigkeit. Wenn sich der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichtes unter Leitung von Ferdinand Kirchhof in den nächsten Monaten intensiv mit dem 2013 noch von Schwarz-Gelb verabschiedeten Betreuungsgeld auseinandersetzen wird, stehen juristische Einordnungen und Schlussfolgerungen im Vordergrund. Geklärt werden müssen „etliche staatsorganisationsrechtliche und grundrechtliche Fragen“, wie der Vizepräsident des höchsten deutschen Gerichts betont.

Es geht in Karlsruhe um Kompetenzen und Zuständigkeiten. Fällt die Gesetzgebung in diesem Fall in den Aufgabenbereich der Länder? Hätte der Bund das Betreuungsgeld deshalb gar nicht beschließen dürfen – erst recht, weil bei den betroffenen Bürgern keine Hilfsbedürftigkeit vorliegt, die, wenn überhaupt, bundespolitisch Voraussetzung zum Eingreifen wäre? Und nicht zuletzt: Widerspricht das Betreuungsgeld dem Gleichstellungsziel des Grundgesetzes, weil es möglicherweise traditionelle Rollenmuster fördert, die seine politischen Gegner garstig mit dem bösen Wort „Herdprämie“ geißeln?

Doch die rechtlichen Einwände, die das rot-grün regierte Hamburg in Karlsruhe gegen das – neben der Kfz-Maut – Lieblingsprojekt der CSU anführt, werden zwangsläufig eine weitreichende politische Dimension haben. Auch wenn die SPD in der Großen Koalition die Betreuungsgeld-Kröte geschluckt hat, um eigene Amphibienprojekte wie den Mindestlohn durchzuboxen, so spricht die Bundesregierung in diesem Punkt nur höchst angestrengt mit einer Zunge.

Die Kläger haben gute Argumente, das Betreuungsgeld in seiner parlamentarischen Entstehungsgeschichte wie in seiner inhaltlichen Ausprägung überprüfen zu lassen. Unbestritten ist, dass im vierten Quartal des vergangenen Jahres 94,7 Prozent der rund 386 000, vor allem im Westen der Republik lebenden Empfänger Mütter waren. Die Frage, ob die staatliche Zuwendung die freie Rollenverteilung zwischen Mann und Frau beeinträchtige, liegt auf der Hand. Zudem kann der Gesetzgeber nur wenig überzeugend darlegen, dass die seit August 2014 monatlich ausgezahlten 150 Euro für Alleinerziehende ein ausreichend finanzieller Anreiz sind, ihre Arbeit für die Erziehung des Kindes zu Hause aufzugeben – selbst wenn sie in Betracht gezogen sein sollte.

Was zu einem weiteren Problem führt: Wird hier nicht eine Sozialleistung gewährt, die am Ende nichts anderes ist als eine familienideologische Subvention all jener, die ein öffentlich gefördertes Angebot nicht in Anspruch nehmen wollen? Obendrein mit dem Ergebnis, eine Leistung zu schaffen, die dazu beiträgt, Kita-Plätze nicht in Anspruch zu nehmen? Mehr noch: Die ersten Erfahrungen belegen, dass die Befürchtung gerechtfertigt ist, wonach das Betreuungsgeld gerade Kinder vom Kita-Besuch abhält, die am meisten davon profitieren dürften – vorrangig aus sozial schwachen, bildungsfernen Familien. Nicht nur, aber nicht zuletzt all die mit einem problematischen Migrationshintergrund, die eine gezielte frühe Sprachförderung und breite Bildungsangebote brauchen.

Sicher: Nach wie vor müssen die Eltern entscheiden, wie ihr Kind betreut wird – nicht der Staat. Und doch wirkt das Betreuungsgeld wie eine unausgegorene, mehr der Parteilinie als dem Familienwohl Rechnung tragende Blockadealternative zum Kita-Rechtsanspruch. Ein verzichtbares Modell. Den Richtern dürfte es nicht leichtfallen, die rechtliche Einordnung von der politischen Bewertung getrennt zu halten. Gerade deshalb aber lohnt es sich zu streiten.