Mehr als 14 500 Patienten haben sich 2014 wegen des Verdachts auf Behandlungsfehler bei offiziellen Stellen beschwert. In jedem vierten Fall wurde ein Fehler bestätigt. Foto: AK-DigiArt - Fotolia

Vorrangig sollte das Bemühen sein, die Rechte von Opfern eines Ärztefehlers zu stärken, findet die Redakteurin Regine Warth, die bei den Stuttgarter Nachrichten die Themen Medizin betreut. Noch immer werden Gutachten – auch die des MDK – vor Gericht nicht anerkannt.

So ernüchternd es ist: Kein Patient kann eine Garantie auf eine fehlerlose Behandlung erwarten. Besonders deutlich wird dies stets im Mai, wenn der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDK) seine Jahresstatistik zur Begutachtung von Behandlungsfehlern vorlegt. Laut dem neuesten Bericht gingen Gutachter binnen eines Jahres in 14 663 Fällen dem Vorwurf von Patienten nach, sie seien Opfer eines solchen Fehlers geworden. In jedem vierten Fall – fast 3796-mal – bekamen die Patienten recht. Damit stieg die Zahl der bestätigten Fehler gegenüber 2014 sogar noch leicht an.

Die Ärzteschaft reagiert stets vergleichsweise gelassen. Fehler passieren – auch in der Medizin, heißt es dann oft. Eine allzu lakonische Reaktion, gewiss. Doch beinhaltet sie eine Logik, denn gemessen an den mehr als 700 Millionen Behandlungsfällen in deutschen Praxen und Kliniken pro Jahr liegt die Zahl der angezeigten Fehler im Promillebereich.

So gesehen darf man den gutachterlich festgestellten Zuwachs auch nicht dramatisieren. Für die Opfer ist ohnehin keine Statistik ein Trost. Wenn Menschen für den Rest ihres Lebens psychischen oder physischen Schaden davontragen oder gar einen Angehörigen verloren haben, ist der Hinweis darauf, dass menschliches Arbeiten stets fehlerbehaftet ist, kaum hilfreich.

Oft wird versucht, falsche medizinische Entscheidungen zu verschweigen

Gerade erst hat der Fall der 21-jährigen Esra O., die im April in die Filderklinik im Kreis Esslingen an den Folgen einer falsch durchgeführten Bauchspiegelung starb, die Wellen hochschlagen lassen. Politiker wie Mediziner riefen nach einer neuen Fehlerkultur, in der Ärzte zu ihrem Versagen stehen können – ohne Angst vor beruflichen Konsequenzen und vor dem Verlust ihres Versicherungsschutzes. Auch wenn sich die Filderklinik um Transparenz bemüht hat: In vergleichbaren Fällen wird meist versucht, falsche medizinische Entscheidungen mit einer Mauer des Schweigens zu umgeben.

Die Angst vor der Öffentlichkeit ist genauso ein Fehler wie der Versuch, Ärzte medial an den Pranger zu stellen. Vielmehr muss ermutigt werden, besser hinzuschauen: So wurde bei Esra O. eine OP-Methode angewandt, die höhere Risiken mit sich bringt als gängigere Methoden. Auch Hygienefehler, bei denen gefährliche Keime verbreitet werden, sollten alarmieren. Vieles kann verbessert werden. Zwar hat die Große Koalition 2014 angekündigt, ein Qualitätsinstitut einzurichten – eine staatliche Stelle, die das Gesundheitssystem durchleuchtet und eine bessere Qualität in der Medizin gewährleisten will. Doch bis ein solches Wächterinstitut vernünftig arbeitet, werden Jahre vergehen.

Die Rechte von Opfern eines Ärztefehlers müssen besser gestärkt werden

Es muss deutlich vorher etwas geschehen – vor allem in Kliniken, wo zwei Drittel der Behandlungsfehler passieren. Entsprechende Ansätze gibt es zur Genüge: Checklisten für Operationen, anhand deren mögliche Infektionen oder Verwechslungen vermieden werden könnten. Aber diese werden noch nicht überall in Deutschland eingesetzt. Auch strenge Hygienevorschriften und ein dafür spezialisiertes Fachpersonal sind nicht an allen Kliniken im Einsatz.

Vorrangig sollte auch das Bemühen sein, die Rechte von Opfern eines Ärztefehlers zu stärken. Noch immer werden Gutachten – auch die des MDK – vor Gericht nicht anerkannt. So fordern Patientenschützer zu Recht, dass der Leidensweg von Betroffenen bis zu einer Entschädigung verkürzt werden muss. Bis diese zu ihrem Recht kommen, dauert es oft viele Jahre. Dies ist für Menschen, die aufgrund des Arztfehlers nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten können, ein unzumutbar langer Schwebezustand. Sie werden somit zum zweiten Mal zum Opfer gemacht.