Der Mordfall Tobias ist ein Lehrstück in Sachen Vorverurteilungen, sagt George Stavrakis.

Stuttgart - Der Mord an dem elfjährigen Tobias aus Weil im Schönbuch scheint aufgeklärt. Die Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Mörder sind noch jung, es besteht aber kaum mehr ein Zweifel daran, dass der festgenommene 47-Jährige aus Esslingen das fürchterliche Verbrechen begangen hat. Warum dann so vorsichtig in der Formulierung? Warum ist der Mann nur der "mutmaßliche Mörder", warum "scheint" der Mord geklärt, er ist es doch, oder?

Ganz einfach: Weil in Deutschland wie in anderen Rechtsstaaten die Unschuldsvermutung gilt. Ein Verdächtiger ist unschuldig, bis er rechtskräftig verurteilt ist. Selbst ein Geständnis reicht nicht aus, es muss mit objektiven Beweismitteln untermauert werden.

Der damals 16 Jahre alte Junge, der kurz nach der abscheulichen Tat zuerst in Verdacht geraten war, kann ein Lied davon singen. Der geistig zurückgebliebene Jugendliche hatte kurz nach seiner Festnahme ein vages Geständnis abgelegt. Polizei und Staatsanwaltschaft haben ihm nicht geglaubt. Die Spuren passten einfach nicht. Auch die Generalstaatsanwaltschaft und das Oberlandesgericht sahen es so.

Andere glaubten, es besser zu wissen. Auch deshalb mussten der junge Mann und seine Familie bis zum gestrigen Tag mit dem schlimmen Makel leben, dass er vielleicht doch der Mörder ist. Der böse Fall ist geradezu ein Lehrstück gegen Vorverurteilungen.

Keine Frage, die Öffentlichkeit, voran die Presse, muss der Justiz fortwährend auf die Finger schauen. Manchmal wäre jedoch ein wenig mehr Vertrauen in die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden angebracht.