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Deutschland konsumiert zu viel und investiert zu wenig, sagt Rainer Wehaus.

Stuttgart - Der böse Bagger. Reißt den alten Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs ab. Die Trümmer fallen, die Kritiker toben. Eines der Hauptargumente der Gegner von Stuttgart 21 ist das Geld. Das Bahnprojekt sei viel zu teuer, sagen sie, und es werde noch viel teurer. Eltern nehmen ihre Kinder mit auf Demonstrationen. "Ich will nicht, dass unsere Kinder mal die Schulden begleichen müssen, die wir jetzt anhäufen", sagt eine Mutter.

Diese Mutter müsste eigentlich täglich demonstrieren gehen. Denn jeden Tag nimmt der deutsche Staat derzeit rund 240 Millionen Euro an neuen Krediten auf. Ende dieses Jahres wird der Schuldenberg auf 1,8 Billionen Euro angewachsen sein. 1,8 Billionen! Eigentlich ein unglaublicher Skandal. Das Problem ist nur: Dieser Skandal hat so gut wie nichts mit Projekten wie Stuttgart 21 zu tun. Die Mutter müsste aufbegehren gegen Zuschüsse an Rentner, gegen Beamtenpensionen, für die keine Vorsorge getroffen wurde, gegen eine Unmenge fragwürdiger Sozialausgaben und gegen die vielen Vorschriften und Förderprogramme, die unseren Staat so dick und so teuer machen.

Das nämlich sind die mit Abstand größten Posten in den öffentlichen Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden. Dafür werden Schulden gemacht. Für die Infrastruktur, deren Erhalt und Ausbau eigentlich eines der wichtigsten Ziele eines Staates sein sollte, bleibt nur ein kümmerlicher Rest übrig. Ein Beispiel: Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat 2010 knapp 15 Milliarden Euro für Investitionen in die Infrastruktur zur Verfügung.

Das klingt viel, sind bei einem Haushaltsvolumen von 328 Milliarden aber nicht einmal fünf Prozent. Für Soziales hingegen gibt allein der Bund inzwischen mehr als die Hälfte seiner Einnahmen aus. Ein Viertel des Etats, jährlich 81 Milliarden Euro, fließen in die Rentenkasse, damit die Renten nicht gekürzt werden müssen. Investiert wird ins Gestern, in Besitzstände, in Ansprüche, die bestimmte Gruppen glauben, für alle Zeiten erworben zu haben.

Der Staat schafft es nicht einmal mehr, die bereits bestehende Infrastruktur zu erhalten. Notwendige Sanierungsmaßnahmen an Straßen, Brücken und öffentlichen Gebäuden werden immer weiter nach hinten verschoben. Betrieben wird nur noch Flickschusterei, wie jeder Autofahrer, jeder Behördengänger und jeder Schüler oder Student täglich feststellen kann. Instandhaltung ist nicht sexy. Damit lässt sich politisch nicht punkten. Deshalb wird sie vernachlässigt. Unser Staat lässt sein Eigentum, das doch angeblich den Gegenwert zu den Schulden darstellen soll, verkommen.

Beton ist kalt. Bauen verursacht Lärm. Ein Staat aber, der eine gute Zukunft haben will, muss seine Infrastruktur auf dem neuesten Stand halten. Er muss, wenn ein Bahnhof sanierungsbedürftig ist, investieren können. Was das im Fall des Stuttgarter Bahnhofs konkret bedeutet, darüber kann man streiten. Unsere Kinder und die Schulden sollte man dabei aber aus dem Spiel lassen. Wenn etwas wirklich im Sinne unserer Kinder ist, dann dies: Viel weniger in den Konsum investieren, viel mehr in die Infrastruktur. Selbst wenn Stuttgart 21 am Ende zehn Milliarden Euro kosten würde, wäre dies im Vergleich zu dem, was sich Deutschland jährlich an Sozialausgaben und Subventionen leistet, ein kleiner Betrag.

Die Politik weiß Bescheid, sie kann Haushaltspläne lesen. Es sei "unabdingbar", das Verhältnis von Zukunftsinvestitionen und Sozialausgaben neu auszutarieren, hat Kanzlerin Angela Merkel im Juni gesagt. Gestern hat das Bundeskabinett ein "Zukunftspaket" verabschiedet, das auch Kürzungen im Sozialbereich vorsieht. Ein erster Schritt, mehr nicht. Noch immer gilt: Das Geld unserer Kinder wird nicht vergraben. Es wird vervespert.