Mit einer weichen Zahnbürste putzt sich ein Kleinkind seinen ersten Milchzähne. Die hohen Raten von Milchzahnkaries machen Fachleuten Sorgen. Foto: dpa

Schwarze Stummel statt gesunder Milchzähne: Schon Kleinkinder liegen in Deutschland auf dem OP-Tisch, um ihr Gebiss saniert zu bekommen. Zahnärzte fordern nun Vorsorgeuntersuchungen für Säuglinge.

Schwarze Stummel statt gesunder Milchzähne: Schon Kleinkinder liegen in Deutschland auf dem OP-Tisch, um ihr Gebiss saniert zu bekommen. Zahnärzte fordern nun Vorsorgeuntersuchungen für Säuglinge.

Berlin - Manchmal sind es acht schwarze Milchzähne auf einmal, die Christian Splieth an der Uniklinik Greifswald ziehen muss. Seine Patienten sind gerade mal drei Jahre alt. Und sie liegen unter Vollnarkose auf dem OP-Tisch, weil kein Kleinkind diese Prozedur freiwillig über sich ergehen lassen würde.

Deutschlands Zahnärzten reichen solche Erfahrungen. Sie schlagen Alarm, weil ihnen die Karies-Raten bei Säuglingen und Kleinkindern zu hoch sind - vor allem in sozial schwachen Familien ohne viel Bildung, darunter auch zahlreiche Migranten. Viele dieser Eltern wüssten viel zu wenig über Mundhygiene, sagen die Zahnärzte. Sie wollen Säuglinge deshalb vom sechsten Lebensmonat an für feste Vorsorgeuntersuchungen in ihren Praxen haben. Bisher sind die Kinder zweieinhalb, wenn sie das erste Mal einen Zahnarzt sehen. Früherkennungsuntersuchungen (U1 bis U9) von Geburt an sind Sache der Kinderärzte.

Die gesetzlichen Krankenkassen reagieren auf den Vorstoß der Zahnärzte mit Unverständnis. Die Kassen wollen eine bessere Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Zahnärzten - und keinen neuen Wettbewerb um Patienten und Einnahmen.

Splieth, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde, legt am Freitag in Berlin Zahlen auf den Tisch. In sozialen Brennpunkten hätten bis zu 40 Prozent der Kleinkinder Karies. Sonst lägen die Raten bei 10 bis 15 Prozent. Der Fachmann für Kinderzahnheilkunde beobachtet eine starke Polarisierung. Es gibt erfreulich viele Kleinkinder mit gesunden Zähnen. Aber zwölf Prozent der Dreijährigen wiesen 95 Prozent des Kariesbefalls auf. „Karies wird zunehmend zu einer sozialen Erkrankung“, urteilt Wolfgang Eßer, Vorstand der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung.

Zahnkiller Nuckelflasche

Woran liegt das? Zum Beispiel an Nuckelflaschen, die Eltern nur mit süßen Getränken füllen. Es liegt nach Angaben der Zahnärzte auch daran, dass manche Eltern zu wenig Ahnung haben. Zum Beispiel davon, dass bereits das erste Milchzähnchen von Anfang an ganz vorsichtig geputzt werden muss. „Ein bis zwei Minuten“, sagt Eßer. Denn kariöse Milchzähne können Kindern Schmerzen bereiten, bevor sie richtig sprechen können. Sie kauen schwerer und schlafen schlechter.

Bisher sind Kinder in Deutschland 30 Monate alt, wenn Eltern den ersten Anspruch auf Vorsorge beim Dentisten haben. Die Zahnarztverbände halten das für viel zu spät. Denn in den Kindermündern sehen sie dann manchmal schon schwarze Stummel, Fisteln und Abszesse. Sie müssen bohren und winzige Wurzeln füllen. Auch wenn Milchzähne ausfallen - früher Karies kann die weitere Gebissentwicklung schädigen. In Großbritannien und Skandinavien hätten sich frühere Zahnarzttermine für Kleinkinder bereits bewährt, argumentieren die Fachverbände. Das spare auch Kosten für spätere Behandlungen.

Den Dachverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), die für festgelegte Vorsorgeleistungen bei Kindern zahlen, überzeugt das nicht. „Glaubt man der einschlägigen Literatur, dann gibt es die eine, alles verändernde Maßnahme nicht, um frühkindliche Karies zu reduzieren“, sagt Sprecherin Ann Marini. Rivalisierende Konzepte verschiedener ärztlicher Professuren würden da auch nicht weiterhelfen.

Dabei ist Karies gar nicht mehr ein so großes Problem wie früher. Generell sind die Fälle bei Kindern und Jugendlichen in den vergangenen 20 Jahren stark zurückgegangen, berichten die Zahnärzte. Das liege auch an der Prophylaxe in Kitas und Schulen. Nur bei den Jüngsten bis drei Jahre gebe es keine Entwarnung. Und nur ein Viertel von ihnen besuche eine Kita.

Doch das heißt nicht, dass junge Eltern zwangsläufig ahnungslos in Sachen Zähneputzen sein müssen. Es gibt Hebammen und es gibt Kinderärzte, die von Anfang an auch über Mundhygiene bei Babys sprechen. Die gesetzlichen Krankenkassen sehen deshalb keinen Grund, am traditionellen Vorsorgesystem zu rütteln. „Gerade weil Karies bei kleinen Kindern kein durchgängiges Problem ist, sondern nur bei bestimmten Elterngruppen auftritt, sollten die klassischen Früherkennungsuntersuchungen beim Kinderarzt bleiben“, sagt Sprecherin Ann Marini. Idealerweise kenne er seine jungen Patienten von Geburt an. Und ihre Eltern auch.