„Höhere Gewalt“: Für Regenfälle wie im Jahr 2009 ist das Netz nicht ausgerichtet. Foto: SES

Das Kanalnetz im Ort stammt teilweise noch aus dem Jahr 1907. Fachleute der Statdtenwässerung haben Schwachstellen ausgemacht und wollen in den kommenden Jahren nachbessern.

Stammheim - Mit sorgenvoller Miene blickt mancher Anwohner der Segelfalterstraße gen grauen Himmel. Denn bei starken Regenfällen kann es dort vorkommen, dass das Wasser aus dem Kanalnetz in den Keller drückt. Wie es um das unterirdische Leitungssystem im Stadtbezirk bestellt ist, das hat Christiane Schilling von der Stuttgarter Stadtentwässerung (SES) den Stammheimern Anfang November im Bezirksbeirat und und bei der Bürgerbeteiligung zum Landschaftsentwicklungskonzept Hummelgraben nahe gebracht.

Bei Regen fließt bis zu 200 Mal mehr Wasser im Rohr

„Im Stuttgarter Kanalnetz haben wir ein Mischwassersystem“, erklärte Schilling den Zuhörern. Abwasser und Regenwasser teilen sich die Leitung. Bei trockenem Wetter fließt in den Rohren nur das Schmutzwasser, also vor allem Wasser aus Dusche, Bad, WC und ähnlichen Abflüssen. Wenn es aber schüttet, kommt das Regenwasser dazu: „Bei Regen ist der zweihundertfache Trockenwetterabfluss möglich.“ Bei Wolkenbrüchen gelangt das Kanalnetz an seine Grenzen. Der Großteil der Rohre wurde in den 1950er- und 60er-Jahren verlegt, in manchen Bereichen sind sie deutlich älter und stammen aus dem Jahr 1907. Die Fachleute unterscheiden verschiedene Stadien. Erstens die Füllung: sie ist erreicht, wenn die Rohre voll laufen, aber das Wasser immer noch ohne Druck abfließt. Zweitens der Einstau: die Rohre sind voll und das Wasser staut sich bis hoch an den Schacht. Drittens der Überstau: er ist erreicht, wenn das Wasser aus dem Schacht an die Oberfläche tritt und auf die Straßen läuft, dort aber noch keine Schäden anrichtet. Viertens die Überflutung: das Wasser staut sich in Rohren und Schächten derart, dass es auf die Straße und in die Häuser fließt und dort Schäden anrichten kann.

Sanierungen in Stammheim sind geplant

Staut sich das Wasser bis hoch in den Schacht, können tiefer liegende Gebäudeteile einen Wasserschaden erleiden – durch den Rückstau der vom Schacht über den Hausanschluss ins Gebäude drückt. „Gebäude, die unterhalb der Geländeoberkante liegen, muss man gegen diesen Rückstau sichern“, erklärte Schilling. Hierfür sei der Hauseigentümer selbst verantwortlich. Das Stuttgarter Kanalnetz sei von seinem Leistungsvermögen so ausgelegt, dass es die allermeisten Regenfälle gut verkraftet. Je nach Gebiet – ob Acker, Wiese, Wohngebiet oder Gewerbegebiet – werden verschiedene Maßstäbe angelegt, wann das Fassungsvermögen noch als ausreichend gilt und wann nicht.

Theoretisch dürfe es in bestehenden Kanälen in Wohngebieten nur alle zwei Jahre zu einem Überstau kommen, in Stadtzentren, Gewerbe- und Industriegebiete nur alle drei Jahre. Für neu angelegte Kanäle gelte: einmal in drei Jahren ein Überstau in Wohngebieten, nur alle fünf Jahre in Stadtzentren. Zusätzlich zum Rohrsystem gebe es Sonderbauwerke wie Regenrückhaltekanäle und -becken. Sie befinden sich beispielsweise im Emerholz, am Bereich des Güterbahnhofes in Kornwestheim, an der Poppenweilerstraße oder am Bahndamm im Gewann „Rote Halde“.

„Das Kanalnetz in Stammheim ist in manchen Bereichen an seiner Kapazitätsgrenze angelangt“, sagte Schilling. Dass es in manchen Häusern an der Segelfalterstraße häufiger zu Problemen komme, liege daran, dass diese gebaut wurden, bevor das Kanalnetz dort erneuert wurde. „Manche Häuser stammen aus dem Jahr 1958 und wurden an den Hummelgraben angeschlossen, der Kanal in der Segelfalterstraße wurde erst 1962 gebaut.“ Um die Situation zu verbessern, sind in den nächsten Jahren Sanierungen geplant: Kanäle werden ausgetauscht und teilweise der Querschnitt vergrößert. In der Korntaler Straße sollen 562 Meter Kanal erneuert werden; der erste Bauabschnitt im Jahr 2015, der zweite in den Jahren 2020/21. In der Segelfalterstraße werden 620 Meter Kanal im Jahr 2016 ausgetauscht. „Der Abwasserkanal im Hummelgraben wird nicht saniert, er ist nach unserer Simulation ausreichend groß und bleibt wie er ist“, sagte Christiane Schilling. Dafür sollen an der Münchinger Straße 722 Meter in den Jahren 2018/19 wieder in Schuss gebracht werden. Die Burtenbachstraße soll 2020/21 an die Reihe kommen: dort sind es 382 Meter.

Überdimensionierte Rohre wären nicht wirtschaftlich

Kopfzerbrechen bereitet manchen Beiräten und Bürgern das geplante Wohngebiet Langenäcker-Wiesert. Der Anwohner Jürgen Schweizer äußerte Bedenken hinsichtlich des Fassungsvermögens des geplanten Kanals. Im Neubaugebiet seien allein 53 000 Quadratmeter Fläche mit Straßen und Häusern überbaut, da kämen schnell zwei Millionen Liter zusammen. Was sich da bei einem Starkregen an Wasser ansammle, überfordere das Netz, meinte er. Schilling versicherte, dass die geplanten Maßnahmen ausreichend seien und den Bestimmungen folgten. „Wir setzen auf ein Mulden-Rigolen-System und die sogenannte Retention“, sagte sie. „Das bedeutet, dass das Wasser gar nicht auf einmal im Kanal ankommt, sondern verzögert abgeleitet wird. Ein Teil verdunstet und versickert.“ Hierfür seien Grasflächen zwischen den Gebäuden sowie Flachdächer und Zisternen vorgesehen. Welche Kanaldurchmesser nötig sein werden, wurde genau berechnet. Für Starkregenfälle dagegen wie in den Jahren 2009 und 2010 geschehen, sei das gesamte Stuttgarter Netz nicht ausgerichtet: Schilling: „Das wäre technisch kaum machbar und nicht wirtschaftlich.“