Stellt sich eine Betroffene etwa im Tierheim beim Reinigen der Zwinger gut an und eignet sich auch charakterlich, darf er sogar mal mit den Hunden spazieren gehen Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Für viele Kleinkriminelle ist das Programm „Schwitzen statt Sitzen“ in Stuttgart die letzte Chance, sich einem Gefängnisaufenthalt zu entziehen. Durch das Programm spart der Staat aber auch Geld.

Stuttgart - Vor drei Jahren verlor Thomas (Name von der Redaktion geändert) seinen Job als Maler. Weil der Stuttgarter spielsüchtig ist und in der Zeit danach mehr ausgab, als er vom Staat erhielt, rutschte er immer tiefer in die roten Zahlen. Doch das war nicht sein einziges Problem: Bei einem Streit schlug er seinem Kontrahenten ins Gesicht, die Nase brach. Das Amtsgericht brummte ihm dafür per Strafbefehl eine Geldstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung auf – eine, die Thomas wegen seiner Schulden und Arbeitslosigkeit nicht bezahlen konnte. Ihm drohte eine Ersatzfreiheitsstrafe, hinter Gitter wollte er aber unter keinen Umständen.

Er fand heraus, dass er die Ersatzfreiheitsstrafe in gemeinnützige Arbeit umwandeln kann, und wandte sich an das dafür vorgesehene Programm „Schwitzen statt Sitzen“ von Prävent-Sozial, der gemeinnützigen Tochtergesellschaft des Bewährungshilfevereins Stuttgart. Die Regelung im Land ist: vier Stunden Arbeit pro Hafttag. Eine Arbeitsvermittlerin der Einrichtung half ihm, eine geeignete Einsatzstelle zu finden.

Rasen mähen statt hinter Mauern sitzen

Thomas rief bei einem Altersheim an, stellte sich vor – und wurde angenommen. Inzwischen leistet er dort seine Arbeitsstunden ab, zum Beispiel jätet er Unkraut, mäht den Rasen und hält die Blumenbeete in Schuss. Die Tätigkeit motiviert ihn. Es sei ein gutes Gefühl, wieder zu arbeiten, sagt er.

Wie es aussieht, ist Thomas eines der positiven Beispiele, wie das Programm einen Verurteilten wieder in die Spur bringt. „Man muss die gemeinnützige Arbeit nicht als Strafe sehen, sondern als Chance“, sagt der Leiter des Fachbereichs Arbeit bei Prävent-Sozial, Michael Sählhoff. Dann könne sich daraus etwas Positives entwickeln. Es gebe mehrere Fälle aus den vergangenen Jahren, in denen sich der Betroffene sogar für einen Minijob in der Einsatzstelle empfohlen und wieder in Arbeit gefunden habe. Sählhoff muss es wissen. Er ist bei „Schwitzen statt Sitzen“ seit Anfang an dabei.

Das Programm „Schwitzen statt Sitzen“ feiert im November ein Jubiläum

Im November sind es nun schon 20 Jahre, in denen es das Angebot gibt. Hans Nusser erinnert sich noch genau, wie es dazu kam. Mitte der 90er Jahre war er als Oberstaatsanwalt neben Sexualdelikten auch für die Strafvollstreckung und die Gerichtshilfe zuständig. Gerichtshelfer, deren vorwiegende Aufgabe es ist, die sozialen Verhältnisse eines Angeklagten auszuleuchten, kümmerten sich damals nebenbei noch um die Fälle, in denen die Justiz gemeinnützige Arbeit angeordnet hatte oder eine Geldstrafe durch gemeinnützige Arbeit getilgt werden sollte. Die personelle und finanzielle Ausstattung der Gerichtshilfe sei jedoch dürftig gewesen, man habe seine Grenzen erreicht, sagt der Oberstaatsanwalt a. D.: „Wir waren damals heillos überfordert und nicht mehr in der Lage, diese Fälle zu bearbeiten.“

Nusser, damals zugleich stellvertretender Vorsitzender des Bewährungshilfevereins Stuttgart, und seine Mitstreiter suchten nach einer Lösung. Das Ergebnis: Der Bewährungshilfeverein bot dem Justizministerium und der Generalstaatsanwaltschaft an, ein Projekt zu starten, das die Aufgabe versuchsweise übernehmen würde. Beide Behörden stimmten zu. Für die Betreuung der Fälle wurde ein Diplom-Sozialarbeiter eingestellt: Michael Sählhoff. Mittlerweile sind es sechs Sozialarbeiter bei Prävent-Sozial, die mit den Klienten ein Erstgespräch führen, die Arbeit vermitteln und diese überwachen – aus dem Projekt ist ein etablierter Arbeitsbereich geworden.

2100 Einsatzstellen im Landgerichtsbezirk Stuttgart

Die Zahl der Verfahren pro Jahr ist von einem niedrigen einstelligen Niveau auf mehr als 2700 angewachsen, die der möglichen Einsatzstellen im Landgerichtsbezirk Stuttgart – dem größten in Baden-Württemberg – von anfangs 240 auf 2100. Bei rund der Hälfte der Fälle ist eine uneinbringliche Geldstrafe der Hintergrund, über „Schwitzen statt Sitzen“ werden aber auch Arbeitsstunden vermittelt, die als Auflage für eine Bewährungsstrafe angeordnet worden sind.

Tatjana aus der Region Stuttgart zum Beispiel wurde wegen Betrugs zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt – mit der Auflage, eine Geldstrafe zu zahlen und 200 Sozialstunden zu leisten. Die Geldstrafe konnte sie berappen. Um die gemeinnützige Arbeit abzuwickeln, kam sie zu Ulrike Megerle, einer Arbeitsvermittlerin bei Prävent-Sozial. Sie hatte die Idee, die Stunden in einem Kindergarten abzuarbeiten, Megerle unterstützte das. Tatjana fand einen Kindergarten. Sie half den Erzieherinnen bei alltäglichen Aufgaben, kochte Tee, spielte mit den Kindern und las ihnen vor. „Das war eigentlich schön“, sagt Tatjana.

Manchmal müssen Klienten auch die Arbeitsstelle wechseln

Weil es mit ihrem Vorgesetzten im Lauf der Zeit zwischenmenschliche Differenzen gegeben haben soll, schritt Megerle nach 114 der 200 Sozialstunden ein und suchte nach einem alternativen Einsatzort. „Sich beleidigen zu lassen muss nicht sein“, sagt Megerle, „wir fördern die Einsatzstellen, fordern aber auch einen angemessenen, höflichen, menschlichen Umgang.“

Ihre noch verbliebenen Stunden arbeitet Tatjana mittlerweile in einem Büro des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) ab. Dort arbeitet sie ihrem Chef beim Papierkram für den Fuhrpark zu, sortiert die Ablage, heftet Rechnungen oder Unfallmeldungen ab. Was unspektakulär klingt, bringt der Ableisterin eine Menge Freude. „Das ist eine Arbeit, die ich mir auch in Zukunft vorstellen kann“, erklärt die Arbeitsuchende. Beim ASB sei derzeit zwar keine Stelle mehr frei, aber sie habe bereits Bewerbungen für ähnliche Stellen vorbereitet.

„Eine Kleptomanin werden wir nie ins Altenheim schicken“

So offen, kooperativ und motiviert wie Tatjana oder Thomas sind allerdings nicht alle Klienten. Manche kommen sehr verschlossen und abweisend zum ersten Gespräch unter vier Augen zu Prävent-Sozial. Sählhoff, Megerle oder eine Kollegin versuchen dann durch gezieltes Nachfragen, die Straftat, den sozialen Stand, die berufliche Ausbildung und gesundheitliche Probleme herauszufinden. Das sei vor allem für die Wahl der Einsatzstelle wichtig, sagt Sählhoff: „Eine Kleptomanin werden wir nie ins Altenheim schicken, und einen Alkoholiker nicht in ein krankenhäusliches Umfeld.“

Wenn die Betroffenen bei einer Einsatzstelle vorgesprochen haben und dort akzeptiert werden, erhalten die Arbeitsvermittler eine Nachricht. „Wir genehmigen das dann noch mal, das hat vor allem versicherungstechnische Gründe“, sagt Sählhoff. Sind die Stunden abgeleistet, füllt ein Ansprechpartner in der Einsatzstelle ein Formular aus.

Bei ungenügender Arbeit kann eine Einsatzstelle die Zusammenarbeit beenden

Es ist der entscheidende Nachweis, anhand dessen Prävent-Sozial das Verfahren abschließen und dem Gericht einen positiven Bescheid geben kann. Fehlt ein Betroffener hingegen unentschuldigt, bricht er die Arbeit ab oder bringt nur ungenügende Leistungen, kann eine Einsatzstelle die Zusammenarbeit beenden. „Dann bestellen wir sie wieder ein, in der Regel erhalten sie eine zweite Chance“, sagt Sählhoff. Gerade Suchtkranke müsse man manchmal erst in eine Therapie vermitteln, dass sie überhaupt arbeitsfähig werden.

Die Einsatzstellen schildern unterschiedliche Erlebnisse. Manfred Knoden, der die Betriebsstelle Fasanenhof Garten-, Friedhofs- und Forstamt bei der Stadt Stuttgart leitet und sich der Ableister annimmt, sagt zum Beispiel, dass er bisher deutlich mehr positive als negative Erfahrungen gemacht habe. „Wir haben oft Verstärkungen, die sich ins Team integrieren“, sagt er. Ab und zu komme es sogar vor, dass die Leute an ihrem letzten Arbeitstag freiwillig mehr Stunden leisten, als sie eigentlich müssten.

Durch „Schwitzen statt Sitzen“ spart auch der Staat

Und wenn einer doch mal unentschuldigt zu spät kommt oder eher unmotiviert zu Werke geht? „Dann wird nicht gleich Alarm geschlagen“, sagt Knoden, „dann erhält er eine klare Ansprache und muss gegebenenfalls jene Stunden nacharbeiten, die er versäumt hat.“ In der Regel klappe das dann.

Das Programm „Schwitzen statt Sitzen“ bringt in der Mehrzahl der Fälle nicht nur den Einsatzstellen einen Mehrwert, es entlastet auch den Steuerzahler. Wie die Statistik von Prävent-Sozial zeigt, kam das Land in den vergangenen 20 Jahren auf 536 757 ersparte Hafttage. Das sind umgerechnet mehr als 1470 Jahre. Rechnet man mit einem Tagessatz von 70 Euro pro Hafttag, summieren sich die dadurch vermiedenen Kosten auf 37,5 Millionen Euro. „Es ist also aus vielerlei Hinsicht eine Erfolgsgeschichte“, sagt Gründungsvater Hans Nusser.