Nachts in der Innenstadt: Immer wieder fliegen die Fäuste Foto: Phillip Weingand

Mit interaktiver Grafik - Alljährlich lobt sich die Rathausspitze mit ihrem Präventionsbericht dafür, eine sichere und saubere Stadt zu sein. Nun aber sieht sich die Polizei im Kampf gegen Exzesse im Umfeld der Partyszene von der Stadt im Stich gelassen.

Stuttgart - Eine typische Szene: Der 21-Jährige ist betrunken und aggressiv, und die Aufforderung der Polizisten, diesen Ort in der Bolzstraße zu verlassen, kümmert ihn überhaupt nicht. Er pöbelt und randaliert, wehrt sich heftig und schlägt um sich. Bilanz des Einsatzes an einem frühen Sonntagmorgen: Ein 46-jähriger Polizist muss mit einer Schulterverletzung ins Krankenhaus, zwei 23 Jahre alte Beamte werden an den Händen verletzt. Der 21-Jährige wird im Revier erkennungsdienstlich behandelt, dann wieder auf freien Fuß gesetzt.

Bei der Vorstellung des Präventionsberichts, hinter dem die sogenannte Sicherheitspartnerschaft aus Stadtverwaltung, Polizei und Förderverein Sicheres und Sauberes Stuttgart stehen, wird dieser spezielle Fall von Polizeipräsident Franz Lutz am Montag im Rathaus nicht erwähnt. Er sagt nur: „Tendenziell muss ich sagen, dass die Gewaltkriminalität in der Stadt nicht nachgelassen hat.“

Letzten Sonntag geriet ein 36-jähriger Nachtschwärmer auf der Königstraße in die Fänge von vier jungen Leuten, etwa 20 bis 25 Jahre alt, die ihn zusammenschlugen und beraubten. Eine Woche davor erlitten zwei junge Männer schwere Kopfverletzungen, als sie auf der Königstraße von einem Quintett auseinandergenommen wurden. Die Opfer wurden geschlagen, getreten und beraubt. Die letzten Tage und Wochen sind voll mit schweren Gewalttaten zwischen Rotebühlplatz und Klett-Passage. Einmal störte es einen 20-Jährigen, dass einem anderen eine Schokolinse runterfiel. Er quittierte das mit einem Faustschlag ins Gesicht.

Umso schmerzlicher, dass die Stadt ausgerechnet aus einem Projekt ausgestiegen ist, für das sie sich im vergangenen Jahr noch gelobt hat – und das auch von einer wissenschaftlichen Studie als erfolgreich bestätigt wurde. Zwei Jahre lang hatten sich vier Sozialarbeiter der Mobilen Jugendarbeit von Evangelischer Gesellschaft, Caritasverband, Drogenberatungsstelle Release, Schlupfwinkel und Jugendhausgesellschaft in der City darum gekümmert, dass die nächtlichen Feiern von jungen Leuten nicht in Prügeleien mündeten. Polizeiarbeit und Jugendhilfe – sinnvoll nebeneinander.

Die Arbeit sollte in diesem Jahr unter dem Begriff City-Streetwork Stuttgart von der Arbeitsgemeinschaft Jugendkriminalität fortgeführt werden. Doch dann ließ der Gemeinderat das Projekt platzen. Obwohl das Landessozialministerium dafür 50 000 Euro zur Verfügung gestellt hätte, lehnte die Ratsmehrheit die Finanzierung von 197 000 Euro im Dezember 2013 bei den Beratungen für den Doppelhaushalt 2014/15 ab. Damit steht die Polizei wieder alleine da.

„Der Gemeinderat hat eben einer Vielzahl anderer Projekte den Vorzug gegeben“, bedauert Ordnungsbürgermeister Martin Schairer am Montag bei der Pressekonferenz um den Präventionsbericht, „vielleicht haben wir für dieses Projekt zu wenig Werbung gemacht.“ Für Schairer ist der Ausstieg „sehr bedauerlich“. Er verspricht „das nächste Mal eine stärkere Lobbyarbeit“.

Dass die Polizei das nächste Mal „lauter schreien“ sollte, wie von Schairer eher scherzhaft bemerkt, will Polizeipräsident Franz Lutz freilich nicht auf sich sitzen lassen: „Wir haben das ganz klar artikuliert, wie wichtig dieses Projekt ist“, stellt er fest. Dass die Stadt die Polizei nicht mehr im Kampf gegen Exzesse im Umfeld der Eventszene unterstützt, „müssen wir halt zur Kenntnis nehmen“, sagt Lutz.

Zur Kenntnis nehmen kann man auch die Tatsache, dass Komasaufen unter Jugendlichen an öffentlichem Interesse verliert. Zum einen, weil die Zahl der Jugendlichen, die mit Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert werden, rückläufig ist. Zum anderen, weil es immer weniger Alkoholtestkäufe mit jugendlichen Lockvögeln gibt, bei der Missstände aufgedeckt würden. Zumindest in Stuttgart: „Letztmals waren wir beim Frühlingsfest auf dem Wasen unterwegs“, sagt Ulrich Sauter, der Leiter des Referats Prävention im Polizeipräsidium.

Dabei ist die jüngste Bilanz der Heilbronner Polizei alarmierend. Die hatte während der Fußball-WM umfangreich kontrolliert – und fand heraus, dass Jugendliche bei knapp 100 Testkäufen in 40 Prozent der Fälle Hochprozentiges verkauft bekamen.