Wie der Ochs vor dem Berg. Foto: dpa

Hart und feucht geht es auf Weihnachten zu, und die Schwingungen verstören mich.

Hart und feucht geht es auf Weihnachten zu, und die Schwingungen verstören mich. In der S-Bahn-Station Stadtmitte sehe ich zwei Polizisten, einen in Grün, einen in Schwarzblau. Es ist 18 Uhr. Vom Vaihinger Himmel hoch, da komm ich her, und in der S-Bahn geht es zu wie im VfB-Fanblock beim Elfmeter für Köln. Der Schwarzblaue trägt eine Maschinenpistole, der Grüne nur seine Alltagsknarre. Was soll das? Würden wir, die Bande aus dem Zug, angreifen, hätte es selbst Bruce Willis schwer.

Zurzeit schauen wir in das Auge des vorweihnachtlichen Terrorismus, und das begreife ich so wenig, wie ich die Katholische Kirche verstehe. Die allgemeine Stimmung macht mir Sorge, komme ich doch langsam in ein Alter, in dem man sich fragt, ob man noch Rock'n'Roll oder schon Gospel singen soll. Johnny Cash hat beides gemacht - und ist früh gestorben.

Der Papst hat einige Jahre mehr auf dem Buckel, und jetzt hat er gesagt, er könne den Gebrauch von Kondomen erlauben, allerdings nur in Einzelfällen, nicht gleich einen Waggon voll. Der Papst hat verkündet, in Fällen von Prostitution, vorzugsweise bei männlichen Huren (!), werde er Kondome zulassen, um die Ansteckung durch den HIV-Virus zu verhindern. Diese Haltung will mir, beim Blick auf die Altstadt, partout nicht in den Kopf. Hatte der Papst zuvor schon die Prostitution erlaubt? Wenn nicht, kann das nur heißen: Die Stricher übertreten zwar bis heute das päpstliche Prostitutionsverbot - benutzen aber nur deshalb keine Pariser, weil es der Papst verboten hat. Da habe ich Probleme mit der Logik und werde noch viele Gospelsongs singen müssen, bis ich erleuchtet bin.

Diese Dinge passen nicht in meine Vorfeiertagsstimmung, jetzt da man allen Terrorwarnungen zum Trotz den Weihnachtsmarkt, das Glühweindorf der Stadt, eröffnet. Die Einzigen, die was fürs Klima tun, sind die Dekorateure von Breuninger. Die haben das Kaufhaus wie ein Weihnachtspaket gestaltet: den Breuninger oberhalb der Schaufenster verpackt. Undenkbar, was passieren würde, käme einer auf die Idee, eine Briefmarke draufzukleben.

Wir gehen ins zweite Kriegsweihnachten seit Beginn der Stuttgarter Kampfhandlungen zwischen Obrigkeit und Volk. Und wir haben gelernt, wie sich selbst die härtesten Konflikte hinausschieben lassen, wenn man sie rechtzeitig fürs Fernsehen verwurstelt. Herr Geißler in seinem Entertainer-Job als Heiner Nichtwahr ist zum Quotenkönig aufgestiegen. Mit seinem Talent rückt er bereits Nischenkonkurrent Harald Schmidt auf den Pelz. Es war wohl richtig, im Kampf um S 21 Deutschlands oberste Moralinstanz anzurufen: Phoenix, den Bildungskanal der Wohlstandsverwöhnten. Nicht einmal die Katholische Kirche, mit ihrer im internationalen Showbusiness einzigartigen Liturgie-Erfahrung, hätte dieses Format so erfolgreich gestemmt.

Stuttgart 21 hat die Welt und die Bibel verändert. Im Jahr 2010 muss noch vor Weihnachten die Geschichte der menschlichen Erlösung neu geschrieben werden: Ochs und Esel treffen sich nicht länger an der Grippe, sondern bei Grube.

Die kleine Stadt Stuttgart, im Kreis der Metropolen lange nur zweite oder dritte Wahl, ist ins Rampenlicht getreten wie nie zuvor seit ihrer Bewerbung um Olympia 2012. Es mag beckmesserisch erscheinen, das Haar in der Suppe, den Makel im Image-Marketing zu suchen. Doch jeder Oberlehrer wird mir zustimmen: Wo in unserem Weltbürger-Zeugnis neuerdings eine Eins hinter dem Wahlfach Gemeinschaftskunde steht, entdecken wir ein Ungenügend hinter dem Leistungsfach Sport.

Wir müssen die Dinge nüchtern sehen: Es hat wenig Sinn, der Welt mit Trommeln und Trillerpfeifen zu beweisen, dass nicht die Griechen, sondern die Stuttgarter die Demokratie erfunden haben - gleichzeitig aber mit Pauken und Trompeten aus der Bundesliga abzusteigen (von meinem Club in der vierten Liga ganz zu schweigen).

Es ist ein Jammer, wenn 1,3 Millionen auf Phoenix zuschauen, wie wir den Rechtsstaat der Lüge überführen - wenig später aber fünfmal so viele in der "Sportschau" sehen, wie Podolski den VfB vorführt.

Ich bitte darum, diese Dinge zu regeln, bevor ich zu Weihnachten wieder wie der Ochs vor dem Bad Berg stehe.