Kabarettist Rolf Miller, Stuttgart Foto: Christian Bordes

Der Marienplatz, als Anlaufstelle für Künstler, wird von Jahr zu Jahr interessanter.

Das Galao am Marienplatz ist ein Platz für Künstler. Der Laden, eine gesunde Mischung aus Verpflegungsstation und Vorstadt-Club, hat eine kleine Bühne; regelmäßig spielen gute Musiker für ein Abendbrot. Der Marienplatz als Anlaufstelle wird von Jahr zu Jahr interessanter. Kürzlich haben, am Ende der Tübinger Straße, Ninette Sander und Ralf Bauer vom Innenstadt-Club Schocken ihre asiatisch gestaltete Restaurant-Bar Noir eröffnet.

Der Komiker Rolf Miller, 44, wohnt nicht weit vom Marienplatz, doch wenn sich etwas verändert hat auf dem Kiez, merkt er es als Letzter. Er ist viel unterwegs. Gut im Geschäft. Erst neulich hat er den Deutschen Kabarettpreis 2011 in Empfang genommen. Zur Verleihung würdigten ihn die "Tagesthemen" der ARD als "Meister des amputierten Satzes". Miller ist ein Virtuose des Unvollendeten, einer, der mit gehäckselten Halbsätzen die ganze Chose aufs Korn nimmt.

Genau genommen hat Rolf Miller (ich treffe ihn nachmittags zum Plaudern im Galao) den Pausen-Clown neu definiert: Kein anderer deutscher Komiker sagt so viel wie Miller, wenn er nichts sagt. Mit seinem Geschick, Dinge wegzulassen und scheinbar durcheinander zu bringen, gelingen ihm die schiefsten Bilder und schönsten Pointen. Das Publikum feixt, wenn er in seinem Kauderwelsch aus Odenwald-Dialekt und Stuttgarter Talkessel-Slang austauschbare Fernsehgesichter im richtigen Leben verortet: "Der Kerner, äh, der Kachel do ... des sin doch kee Politiker ...".

Manchmal weiß Miller selbst nicht genau, wo er hingehört. Er wohnt in Stuttgart, sein Sohn, im Jugendfußballalter, lebt bei der Mutter in Berlin, Millers Kabarett-Hauptstadt heißt München. Gefragt, ob das Leben als Komödiant auf Reisen nicht gelegentlich deprimierend, weil auf das Ende des Tages fixiert sei, sagt er: "Mit den Jahren verliert der Abend seinen Schrecken."

An diesem Tag im Galao ist es nahezu ein Wunder, dass wir nicht beim Fußball hängen bleiben. Die Rückrunde in der Bundesliga hat begonnen, und Millers Agentin teilt am Handy mit, der "Kicker" habe wieder eine Kolumne bei ihm bestellt. Solche Augenblicke sind brandgefährlich. Blitzschnell beginnt der Fußball-Verrückte Miller die Frage zu erörtern, was Ronaldinho von Messi und Pelé von Maradona unterscheidet. Mit etwas Glück kommen wir über Maradonas Gottähnlichkeit auf Muhammad Ali und damit zurück ins Kabarett, weil Miller es nicht lassen kann, Ikonen wie Ali Bühnennummern als Hommage zu widmen.

Dieses Unternehmen ist kompliziert, die wichtigste Kabarett-Figur in Millers minimalistischer Show ist Achim, ein erzreaktionärer Spießer. Ließe man diesen Typen jenseits der Bühne frei über Muhammad Ali reden, stände der Anwalt für Menschenrechte vor der Tür. Das Spektrum von Achims Feindbildern irgendwo zwischen Ausländern, Frauen und Intellektuellen will Miller in Zukunft erweitern. "Auch Dinge wie die Globalisierung", sagt er, "wirken sich auf das Private aus."

Dialoge mit dem echten Miller sind nicht unbedingt das Gegenteil seiner verstümmelten Bühnensätze. Viel schneller dürften Gedanken nicht springen, wollte man nicht in der Klapsmühle landen. Von FußballRonaldinhos körperlicher Ästhetik ist es für ihn kaum mehr als ein Atemzug hin zu FDP-Röslers rhetorischer Peinlichkeit.

Zwar meidet Millers Kabarett die Tagespolitik. Er glaubt sogar, altvordere Satiriker wie Urban Priol oder Richard Rogler nähmen seine Generation "nicht ernst" - was unter Komikern als Höchststrafe gilt. Manchmal aber juckt es Miller doch, wohl wissend, dass sein Stammtisch-Szenario in Wahrheit hochpolitisch ist. Röslers Erscheinung empfindet er als dermaßen "anti-charismatisch", dass er ihm, es lebe das geflügelte Absturzwort, "nicht einmal meinen Gebrauchtwagen verkaufen würde".

Die Sonne geht unter, Rolf Miller muss noch zu einem Auftritt nach Bayern fahren. Fürs Kabarett, auch wenn man wie er neunzig Minuten lang auf einem Bühnenstuhl sitzt, müsse man körperlich fit sein, sagt er. Fit wie ein Sportler. Und es gelte, Rituale zu pflegen: vielleicht ein paar Töne auf der Blues-Harp blasen, mit dem Zauberwürfel fummeln, irgendetwas Abseitiges tun, um das Hirn anzuwerfen. Das Schlimmste wäre, in Routine zu verfallen. Das Spiel muss Freude machen. Es geht um Vitalität, um Präsenz.

Am 18. Februar spielt Rolf Miller im Theaterhaus; wer noch Karten will, muss sich beeilen. Am 25. Februar gastiert er in Heilbronn - zuvor, am 2. Februar, wieder im Fernsehen: "Satiregipfel", ARD.

Beim Hinausgehen, zwischen Tür und Angel im Galao, frage ich ihn etwas hinterhältig, ob er nicht Lust habe, am 12.12. 2012 bei der 12. "Nacht der Lieder", der Benefiz-Show für die Aktion Weihnachten der Stuttgarter Nachrichten, im Theaterhaus aufzutreten. Er könne dem Publikum vorführen, warum klug komponierte Sprachfragmente wie Musik klingen. Ich glaube, er hat ja gesagt. Hörte sich so an.