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Es ist ein paar Tage her, ich war gerade in tiefer Depression , als ich das Plakat sah: „Rettung naht“

Stuttgart - Es ist ein paar Tage her, ich war gerade in tiefer Weihnachtsdepression auf Erkundungstour zum Knast, als ich an der Endhaltestelle von Stammheim das Plakat sah: „Rettung naht“. Da wusste ich, dass es ein Leben nach dem Scheintod gibt.

Diese Stadt hat wieder Hoffnung. Die Dreieinigkeit kommt. Der Musiker, der Komiker, der Philosoph Helge Schneider präsentiert heute und morgen, Mittwoch, in der Liederhalle seine neue Show. Es ist gute Tradition, dass er zum Faschingsfinale im Beethovensaal auftritt. Speziell zu dieser Zeit ist er unersetzlich als Retter der Nation, als Wiederbeleber und Artenschützer des deutschen Humors. Bekanntlich wird während der Tätä-Saison alles unternommen, dem Humor den Garaus zu machen. Das Motiv für diesen versuchten kollektiven Totschlag ist der weit verbreitete Irrtum, Witze hätten mit Humor zu tun.

Guten Komikern verbietet es die Ehre, auf der Bühne Witze zu erzählen, solange sie nicht auf der untersten Stufe des Alleinunterhalters und der Selbsterniedrigung angekommen sind. Dennoch investiert ein ganzer Berufszweig Jahr für Jahr viel Zeit und Geld, um Lachzwangsvorlagen aus dem Buch „1000 Witze zum Sonderpreis für 6,95 Euro“ auf die Bühne zu bringen. Dass diese Beiträge lustig sein sollen, lässt sich meist nur erahnen, weil sich die Rezitatoren ein Hasengebiss eingelegt, ein buntes Käppi aufgesetzt oder sich wie der Papst in Klamotten des anderen Geschlechts gehüllt haben. Sollte die Kracher ihres Vortrags trotzdem keiner schnallen, bläst eine Kapelle so lange ein dreifaches Tätä in den Saal, bis es abgeht wie auf der Singleparty im Swingerclub von Poppenweiler.

Wenn der Komiker Helge Schneider zur Faschingszeit kommt, hat auch er eine Kapelle dabei, das Publikum weiß aber nie, ob und wann genau es einen Grund zum Lachen gibt. Helge Schneider führt seine Art von Humor oft genug als etwas würdevoll Witzloses auf. Dieser Humor ist saukomisch, weil es sein Schöpfer verdammt ernst meint, wenn er Schluss mit lustig macht. Helge Schneider ist Deutschlands einziger berühmter lebender Dadaist. Das verheißt der heilen Welt nichts Gutes und dem Publikum eine künstlerische Willkür, dass es eine Freude ist. Als er vor einem Jahr in der Liederhalle auftrat, war ich hinterher völlig kaputtgelacht und hundemüde, aber auch so ergriffen, dass ich schnell noch etwas in mein elektronisches Tagebuch tippte, und zwar so: „Wenn ich einmal sterbe, werde ich sagen können: Ich habe in einer Zeit gelebt, in der es in Deutschland Humor gab. Es gab Helge Schneider.“

Dieser Satz strotzt vor Pathos, aber was macht man nicht alles, wenn einem ein Künstler gerade die Wahrheit über das Leben gesagt hat: „Das Auge sieht mit.“

Als ich in einer anderen Vorstellung war, kam Helge Schneider nach der Pause mit einem Joghurtbecher und einem Löffel auf die Bühne und fütterte in aller Ruhe seine gut gealterten Musiker. Der ganze Saal lachte über diese vermeintliche Inszenierung einer Entwürdigung: der Diener als ewiger Prügelknabe seines Herrn. Später erfuhr ich durch Zufall die Wahrheit. Helge Schneider hatte in der Pause einen Joghurtbecher geöffnet, schaffte es aber nicht, die Chose bis zum Start der zweiten Hälfte auszulöffeln. So nahm er sein Abendessen mit auf die Bühne, um es in Demut zu teilen.

Wie es Helge Schneider gelingt, hemmungslos zu improvisieren, ohne die Dramaturgie seiner meisterhaften Musikclownerie zu zerstören, ist sein Geheimnis. Vermutlich lebt er streng nach einer Lehre, die ich in einer seiner früheren Shows gehört habe: „Man soll einen Menschen nie nach dem beurteilen, was er macht.“ Würde man das tun, hielte man Helge Schneider womöglich für verrückt oder für einen Narren. Im vergangenen Jahr blieb er in der Pause auf der Bühne an seinem Hocker kleben, als hätte er den Überblick und den Verstand verloren. Dann sagte er: „Ich bleibe hier sitzen, damit keiner etwas klaut.“

Nach der Pause änderte er das Tempo. Pointen interessierten nicht mehr. Gemächlich machte er Musik mit Hang zum Unvollendeten, sang absurde Lieder, erzählte von einem, der sich in ein Brot einbacken lässt, um aus dem Knast zu fliehen. Alles war jetzt leicht und unbeschwert und das Lachen so überflüssig wie der Mensch auf Erden.

Die Rettung naht, und für beide Abende gibt es noch Karten. Das ist gut, weil man nicht weiß, was er gemeint hat, als er neulich sagte: Ich höre auf. Es wäre ein nationales Unglück, ginge der göttliche Retter vor seiner eigenen Himmelfahrt in Rente.