Foto: Piechowski

Joe Bauer fährt mit den Linien 43 und 42 durch die Stadt in den Osten.

Sanfter Angriff auf die Stadt, den Killesberg hinunter, guter Blick aufs Tal. Richtung Hegelplatz, die Tour gut gefedert, wie im Gleitflug. Mitten hinein in die Scheußlichkeit Berliner Platz, weiter Richtung Wilhelmsplatz, Charlottenplatz, die Hauptstätter Straße entlang.

Rechts das milieulastige Café Mistral, wo einst die Sissy-Bar stand; weiter vorne der Bäcker Schmälzle, der neue Laden Bar und Diner, die Hells-Angels-Kneipe The Other Place, die Jazz- und Rockbude Kiste, verdeckt der Brunnenwirt.

Ich sitze im Bus der Linie 43, ganz hinten, Altstadtbilder wie im Film. Das sind nur Kulissen, denke ich, dahinter muss es ein Geheimnis geben, da machen sie gerade einen scharfen Film. Aber es ist die Stadt in ihrer üblichen Morgenstarre, und so schlecht sieht das nicht aus.

Mancher Leser wird mich wieder schimpfen, ich solle gefälligst die Himmelsrichtung wechseln, westlastig sei ich, nicht weltlastig. Was soll ich machen. Der 43er fährt eine gute Tour, von der Halbhöhe herab in die Tiefen der Altstadt. Von Abgründen rede ich nicht. Es ist früher Morgen, das bisschen Milieu kühl, frigide.

Tags zuvor hatte ich mich in den Osten aufgemacht, da war es Sonntag und langweiliger. Es hätte keinen Sinn gehabt, die Gablenberger Hauptstraße anzugreifen, da läuft sonntags nichts, nach dem Ausstieg aus dem Bus der Linie 42 steht man vor einem Stadtteilrätsel und sagt: Komm morgen wieder, Passagier, morgen triffst du ein paar internationale Straßenpiraten.

Ziellos fahre und stiefle ich herum, die Nase Richtung Gaskessel, man riecht ihn nicht, und lande vor dem alten Verwaltungsgebäude des Schlachthofs. Den Schlachthof gibt es schon eine Weile nicht mehr. Das Theaterhaus-Ensemble hat noch in den alten, schon leeren Räumen gespielt, lange her, man konnte die Fleischerhaken sehen und das Blut riechen.

An dieser Stelle werden Sie vielleicht verstehen, warum ich Buslinien liebe: Einmal im 43er, einmal im 42er, und schon bin ich aus den duftenden Edelgärten des Killesbergs in der Blutrinne der animalischen Vergangenheit gelandet.

Im Verwaltungsgebäude des Schlachthofs hat man jetzt das Schweinemuseum eröffnet. "Sau-nah", heißt es auf den Plakaten, man kann sehen, wie sich tausendfache Ferkeleien in Ausstellungsräumen gegenseitig jede Widerborstigkeit nehmen.

Der Finanzbürgermeister hat gesagt, die Schweinebande sei eine große Bereicherung für die Stadt, und man glaubt es ihm: Irgendwo findet auch der Finanzbürgermeister seine Kompetenz und Bestimmung.

Ich freue mich, dass man am Schlachthof Bleibendes geschaffen hat: Rosarote Ringelschwänze und Schweinebacken sind erstklassige Aufhänger für die Tourismus-Werber, in der Nachbarschaft des VfB.

Ich muss Ihnen noch erzählen, wie uns der 1. Fußball- und Sportverein Mainz beinahe ein Stuttgarter Kunst- und Werbeprojekt versaut hätte. 

In der Eberhardstraße neben dem Tagblatt-Turm, im ehemaligen Laden des ewigen Räumungsverkauf-Teppichhändlers, ist zurzeit das "Café Endlager" eingerichtet. Das ist eine vom Stuttgarter Berlin-Künstler Ralf Schmerberg inszenierte Schau zum Thema Atomkraft, ein multimedialer Mix aus Doku- und Kunstmaterial. Bezahlt wird die Aktion vom Darmstädter Energieunternehmen Entega, einem mit konventionellen Konzernen verbandelten Ökostrom-Händler.

Die Künstler waren frei in ihrer Arbeit, man wird mit den Anti-Atomkraft-Protesten der achtziger Jahre konfrontiert, mit Tschernobyl, mit der aktuellen Debatte. Es ist bei Gott nicht falsch, ein riesengroßes leerstehendes Haus vorübergehend für diese Art Promotion zu nutzen. Man hätte das schöne Geld ja auch einem postatomschlagweichen Komiker wie Mario Barth mit dem Werbespot-Spruch überlassen können: "Das ist meine Steckdose."

Nachdem ich mir die Ausstellung angeschaut habe, bittet mich eine Dame am Ausgang zur Marketing-Befragung. Ob ich das Energieunternehmen kenne. Ja klar, sage ich, das kenne ich gut. Die Dame stutzt. Woher ich es kenne. Die verdammte hessische Firma, sage ich, hätte uns beinahe die letzte Chance auf die Europa-Liga zerstört. Sie schaut mich mit großen Augen an. Der FSV Mainz, sage ich, hat am Samstag bis zur 73. Minute zweizunull beim VfB geführt. Die Augen der Dame werden größer. Meine allerliebste Stromfrau, sage ich, der Trikotsponsor und Geldgeber des Mainzer Bauernclubs heißt Entega.