Die Investitionen in Baden-Württemberg sind stark auf die Kraftfahrzeugindustrie konzentriert Foto: dpa

Dass zu wenige Investitionen den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährden, ist unter Ökonomen ein Dauerbrenner. Jetzt befasst sich eine noch unveröffentlichte Studie mit Baden-Württemberg.

Warum sollte man sich für Investitionsquoten überhaupt interessieren?
Weil sie einer der wichtigsten Indikatoren dafür sind, wie gut oder schlecht sich ein Wirtschaftsstandort und somit der Wohlstand der Menschen einer Region in Zukunft entwickeln wird. „Die Investitionsquote drückt aus, wie viel des erzielten Einkommens für die Schaffung der Grundlagen künftigen Einkommens verwendet wird“, erklärt Christian Rammer, Projektleiter im Forschungsbereich Industrieökonomik und Internationale Unternehmensführung beim Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. „Solche Grundlagen reichen von technischer Infrastruktur bis zu immateriellen Komponenten wie Bildung und Forschung.“ Bleiben Investitionen aus, heißt das auf lange Sicht, dass auf Verschleiß gefahren wird, so Rammer. Eine veraltete oder nicht mehr funktionierende Infrastruktur wirke sich früher oder später negativ auf die Produktionsmöglichkeiten und die Wettbewerbsfähigkeit aus. In den Bereichen Verkehr, Wohnungsbau und Bildung werde in Deutschland schon lange wenig investiert, so dass man zunehmend von früheren Investitionen lebe.
Deutschland ist doch so ein reiches Land. Warum wird dann so wenig investiert?
Grundsätzlich gilt, dass Unternehmen dann investieren, wenn sie sich von einer Investition Gewinne versprechen. „Hier spielt die Erwartung über die künftige wirtschaftliche Entwicklung eine große Rolle“, sagt Rammer. „Erwarten die Unternehmen wachsende Märkte, werden sie auch Geld in die Hand nehmen, um ihren Anteil an dem Wachstum zu sichern.“ Das tun die Unternehmen auch. „Allerdings erwarten sie wachsende Märkte vor allem im Ausland und investieren daher dort.“ Das kann für einen Wirtschaftsstandort wie Deutschland langfristig zum Problem werden. Darum steht das Thema auch schon seit Jahren auf der politischen Agenda. Eine vom Bundeswirtschaftsministerium einberufene Expertenkommission kommt zu dem Schluss, dass die Investitionsquote in Deutschland von 1991 bis 2013 von 25 auf 20 Prozent gesunken ist. Damit ist der Rückgang der Investitionstätigkeit hierzulande stärker ausgeprägt als in anderen Industrieländern. Einige Ökonomen führen dies auch auf die sinkende Geburtenrate in Deutschland zurück.
Was haben Babys mit den Investitionen in einem Land zu tun?
Einige Wirtschaftsforscher rechnen damit, dass die fetten Jahre für die deutsche Wirtschaft vorbei sind, weil die Bevölkerung schrumpft. Wenn dem so wäre, könnte das tatsächlich geringere Investitionen erklären, so Rammer. Vor diesem Hintergrund seien auch die geringen Investitionen in den Wohnungsbau zu sehen. Rammer hat jedoch Zweifel an den Prognosen einer schrumpfenden Bevölkerung. „Wir sehen ja gerade, wie schnell die Bevölkerung in Deutschland wachsen kann, wenn ein wenig des vorhandenen Migrationspotenzials genutzt wird.“ Insofern wäre eine politische Ansage, dass Deutschland auch in Zukunft für Migranten offen ist und dass offiziell von einer weiter wachsenden Bevölkerungszahl ausgegangen wird, eine wichtige Voraussetzung, um mehr Investitionen zu mobilisieren, sagt Rammer. „Das Geld dafür ist ja vorhanden.“ Aufseiten der öffentlichen Hand bremse das Dogma ausgeglichener Haushalte derzeit mehr Investitionen.
Steht Baden-Württemberg bei den Investitionen auch so schlecht da?
Die Antwort ist: nein, aber. Verglichen mit anderen Bundesländern und auch im internationalen Vergleich steht Baden-Württemberg sogar gut da. Eine noch unveröffentlichte Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), die unserer Zeitung vorliegt, kommt zu dem Schluss: „In Baden-Württemberg kann auf Basis der vorliegenden Studie keine gesamtwirtschaftliche Investitionsschwäche diagnostiziert werden.“ Preisbereinigt liegt die reale Investitionsquote Baden-Württembergs sogar höher als die der USA. Seit 2000 schwankte sie der Studie zufolge zwischen 19,4 Prozent (2005) und 21,8 Prozent (2012). Damit liegt die Investitionsquote in Baden-Württemberg im Mittelwert (20,7 Prozent) zwar über dem Bundesdurchschnitt (20,1 Prozent), jedoch immerhin zwei Prozentpunkte hinter Bayern (22,7 Prozent). Martin Gornig, stellvertretender Leiter in der Abteilung Unternehmen und Märkte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt das nicht zufrieden. „Das sagt nur aus, dass Baden-Württemberg unter den Schlechten etwas besser dasteht.“ Daran, dass die gesamtdeutsche Investitionsquote viel zu niedrig ist, ändere das auch nichts.
Wo hat Baden-Württemberg noch den meisten Nachholbedarf?
Die anziehenden Investitionen in Baden-Württemberg sind laut der Studie, die vom Landeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben wurde, stark auf die Kraftfahrzeugindustrie konzentriert. „Andere Branchen des verarbeitenden Gewerbes investieren eher durchschnittlich, was die ohnehin bereits hohe Abhängigkeit von der Kraftfahrzeugindustrie zukünftig sogar noch weiter verstärken wird.“ Darin sieht Rammer keine Gefahr: Der hohe Anteil zeige eher, dass in anderen Bereichen zu wenig investiert wird. „Eine Gefahr für das Land ergibt sich eher aus dem generell hohen Gewicht der Autoindustrie für Beschäftigung, Wertschöpfung und damit auch Steuereinnahmen“, so Rammer. „Wenn diese Industrie über längere Zeit Schwierigkeit haben sollte, dann wäre Baden-Württemberg – neben Niedersachsen – das Land, das am stärksten in Deutschland davon betroffen wäre.“
Investiert das Land genug?
Auch hier stellt das Gutachten Nachholbedarf fest: Demnach kommt das Land hier auf einen im Vergleich zur Bundesebene unterdurchschnittlichen Wert (0,23 gegenüber 0,32 Prozent). Das will der baden-württembergische Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) nicht auf sich sitzen lassen. Die Landesregierung habe beim Regierungsantritt 2011 erheblichen Nachholbedarf festgestellt, so ein Ministeriumssprecher. In den vergangenen Jahren sei saniert und investiert worden. „Beispielsweise wurden zwischen 2011 und 2015 die Ausgaben des Landes für wirtschaftsnahe Forschung im Vergleich zum Zeitraum 2006 bis 2010 nahezu verdoppelt – sie liegen 2011 bis 2015 bei 354 Millionen Euro.“ Die Investitionen in die Kleinkindbetreuung beliefen sich bis 2014 auf 972 Millionen Euro. Und um den Sanierungsstau im staatlichen Hochbau und bei landeseigenen Gebäuden abzubauen, seien im Doppelhaushalt 2015/2016 160 Millionen Euro vorgesehen.