Große Auswahl in einem französischen Carrefour. In Deutschland fallen die Supermärkte insgesamt kleiner aus. Foto: AFP

Der E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann meint, der Online-Handel mit Frischwaren bleibt hierzulande vorerst ein Nischengeschäft. Schließlich gebe es in Deutschland kein Versorgungsproblem, welches das digitale Geschäft stärken würde.

Stuttgart - Noch bringt der Online-Handel mit Lebensmitteln in Deutschland wenig Umsatz. Nur rund ein Prozent der Bundesbürger erledigen ihre Einkäufe im Internet. Und zumindest Frischwaren bleiben auch in naher Zukunft ein stationäres Geschäft, ist der Handelsforscher Gerrit Heinemann überzeugt.

Herr Heinemann, nicht nur in Frankreich denken die Supermarkt-Betreiber darüber nach, wie sie auf die Online-Konkurrenz reagieren sollen. Amazon Fresh, der Schrecken der hiesigen Supermarktketten, ist seit einem halben Jahr auf dem deutschen Markt aktiv. Muss sich auch hierzulande der Handel neu erfinden?
Das muss man etwas differenzierter betrachten. Der Internethandel mit Tiernahrung und Drogeriewaren entwickelt sich rasant, und bei Wein beträgt der Online-Anteil hierzulande bereits über 20 Prozent. Bei Frischwaren sieht es jedoch noch etwas anders aus. Amazon Fresh wird nach Berlin, Potsdam und Hamburg, wo es gut zu funktionieren scheint, eine Stadt nach der anderen übernehmen und sicher irgendwann den Durchbruch schaffen. Noch beträgt der Online-Anteil im Lebensmitteleinzelhandel jedoch nur 0,5 Prozent, während in Frankreich online bereits erstaunlich hohe Umsätze erzielt werden. Dort sind es 3,5 bis 5 Prozent, je nachdem, ob man Drogeriewaren einrechnet.
Haben deutsche Lebensmittelanbieter dem Online-Handel wegen der kleinteiligeren Strukturen mehr entgegenzusetzen als französische?
In Deutschland braucht man Studien zufolge zu Fuß maximal eine Viertelstunde bis zum nächsten Versorger, die Dichte an Supermärkten ist enorm. Dadurch können Frischwareneinkäufe ohne großen Zeitaufwand erledigt werden. Das ist vorerst noch ein Standortvorteil fürs stationäre Geschäft und zeigt, dass wir hier kein Versorgungsproblem haben, das den Online-Handel stärker befeuern würde. Hypermarchés haben sich nie richtig durchgesetzt. Das ist zum einen ein Standortthema. Solch riesige Flächen müssen schließlich erst einmal von den Behörden genehmigt werden. Zum anderen lieben die Deutschen die Riesenauswahl nicht so sehr wie die Franzosen. Hierzulande gilt nach wie vor: Hauptsache, der Preis stimmt.
Die Discounter sind noch auffällig zurückhaltend beim Online-Handel, während die Supermarktkette Rewe bereits 2011 eingestiegen ist.
Tatsächlich hat Rewe versucht, First Mover zu sein, und relativ forsch angefangen. Jetzt rudert das Unternehmen aber wieder zurück. Das liegt auch an den genossenschaftlichen Strukturen. Die Genossen pfeifen das Management zurück, weil der Internethandel so viel kostet und enorm investiert werden muss.
Ist das langfristig die richtige Strategie? Gerade in den Ballungszentren scheinen Lebensmittellieferdienste bei bestimmten Zielgruppen, vor allem bei Gutverdienenden mit wenig Zeit, durchaus beliebt zu sein.
Die Hauptzielgruppe sind kaufkräftige Kunden, die eher in den Metropolregionen leben. Und falls, wie von manchen Konsumforschern prognostiziert, der Online-Anteil im Lebensmitteleinzelhandel in zehn Jahren tatsächlich bei fünf bis zehn Prozent liegen sollte, dann sprechen wir von einem Umsatz in Höhe von bis zu 20 Milliarden Euro. Das wäre ein Riesenbrocken. Aber meiner Meinung nach bleibt zumindest der Online-Handel mit Frischwaren erst einmal ein Nischengeschäft, auch weil die Zustellung logistisch so aufwendig ist.