Der 63-jährige Helmut Zierl als ausgebrannter Textil-Vertreter. Foto:  

Er hat schon öfter auf der Bühne der Schwabenlandhalle gestanden. Nächste Woche kommt Helmut Zierl mal wieder nach Fellbach – in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“.

Fellbach - Wie kaum ein anderer Schauspieler gehört Helmut Zierl zur deutschen Fernsehgeschichte – angefangen 1979 bei „Ein Kapitel für sich“ über zahllose „Derrick", „Alte“, „Traumschiff“- oder Inga-Lindström-Verfilmungen. Im Interview spricht er über seine 300 Produktionen in 40 Jahren und warum es ihn nun wieder zum Theater gezogen hat.

Herr Zierl: Wer graue Strähnen in seiner Biografie angibt – der ist allemal reif für einen ausgebrannten Willy Loman. Oder ist die Strähne gar nicht echt?
Die Strähne ist echt. Leider. Eine sogenannte Schocksträhne. Sollten Sie mal googeln, was man darunter versteht (lacht). Die Tournee ist perfekt getimed. Willi ist 63 Jahre alt. Ich auch. Willi ist Handlungsreisender und ich ja im Grunde genommen auch – die Rolle schrie nach mir.
Gesteigert werden könnte das nur durch „König Lear“ – aber wohl erst in 20 Jahren?
Für mich waren Traumrollen nie die großen Klassiker. Weder Hamlet noch Romeo oder Richard der Dritte haben mich so in ihren Bann gezogen, dass ich sie unbedingt hätte spielen wollen. Auch Lear hat mich bis jetzt noch nicht „gefesselt“. Aber den Handlungsreisenden Willy Loman wollte ich schon seit der Schauspielschule spielen.
Wie sieht’s denn bei Ihnen selbst aus als „Mann in den besten Jahren“?
Die Liebhaberrollen in Film, Fernsehen oder Theater sind mittlerweile vermutlich wirklich Geschichte. Nicht schlimm! Ich erfreue mich jetzt an den Charakterrollen, die sowieso oft viel spannender sind.
Was ist die Faszination an Arthur Millers Klassiker von 1949?
Ich finde, Vater-Sohn-Konflikte sind immer zeitlos und spannend, aber der ungeheure Leistungsdruck, die Art und Weise, wie mit alten, ausgedienten Mitarbeitern umgegangen wird, der wachsende Kampf gegen Konkurrenz und die Bevölkerung, die außer Kontrolle geraten ist, sind hochgradig aktuelle Themen. All das wird von Miller thematisiert.
Mit 63 wirken Sie fit wie ein Turnschuh. Was machen Ihre Halbmarathons?
Während einer Tournee mache ich leider gar keinen Sport. Zu groß ist die Sorge, dass ich mir im November, Dezember einen „aufsacken“ könnte. Dafür wird danach wieder viel für die Kondition getan.
Und aufs Motorrad schwingen Sie sich auch immer wieder?
Eher selten. Vor kurzem, bei Dreharbeiten, durfte ich eine Harley aus den 60ern fahren. Da hab ich wieder Blut geleckt.
Das Gefühl der Unsicherheit, wenn die Angebote Wochen oder Monate ausbleiben, kennen Sie die auch?
Ich kann diese Sorgen sehr gut nachvollziehen. Sie betreffen allerdings alle Freelancer in unterschiedlichsten Berufen. Auch ich kenne Phasen, in denen ich mich komplett unterfordert fühlte.
Klatsch und Tratsch – Sie gehen damit recht lässig um. Andererseits: Was geht es denn die Öffentlichkeit an, wenn sie „29 dreiviertel Jahre älter“ sind als Ihre Freundin Sabrina, wie Sie in Interviews offenbart haben?
Sie sind aus der Branche und wissen wahrscheinlich besser als ich, dass sich die sogenannte Yellow Press ausschließlich mit dem Privatleben der „Promis“ beschäftigt. Das ist lästig, aber man kann sich dem nicht ganz entziehen. Ich habe viele schlechte, aber auch gute Erfahrungen gemacht. Alles eine Frage der Fairness. Ich vertraue mittlerweile meinem Bauchgefühl.
Noch ein aktuelles Thema: Sexuelle Belästigungen, die berühmte Besetzungscouch – gibt’s das nur in Hollywood, lässt sich das für Deutschland ausschließen?
Hahaha – die hat`s immer und überall gegeben.
Nach langer Abstinenz machen Sie wieder häufiger Theater – eine Rückkehr zur eigentlichen Leidenschaft, zur Bühne?
Ich habe die ersten sieben Berufsjahre überwiegend am Theater gearbeitet und dort den Beruf gelernt. Dann folgten 25 Jahre Fernsehen, Film, Synchron, Hörspiele – mit über 300 Produktionen. Vor etwa zehn Jahren zog es mich wieder zum Theater zurück, bedingt durch das große, aber auch erarbeitete Glück, mir hier die Rollen aussuchen zu können. Keine Frage, die Bühne hat eine ganz besondere Faszination. Und jetzt sind wir wieder beim Ausgangspunkt: Die Geschichte des Willy Loman auf ein paar Quadratmetern Bühnenboden komplex mit allen Facetten in zweieinhalb Stunden spielen zu dürfen, das ist eine ungeheuere Herausforderung.
Und auf Tournee: Man reist in die Stadt – aber ist man auch wirklich da?
Tatsächlich weiß man oft nicht mehr, wo man vorgestern oder vorvorgestern gespielt hat. Man steigt nach dem Hotelfrühstück in den Bus, vier Stunden später verlässt man diesen wieder, um mit Sack und Pack ein neues Hotelzimmer zu beziehen. Je nach Kondition sehe ich mir noch ein paar Straßen in der Nähe an, aber meistens bleibe ich im Zimmer, ruhe mich aus, konzentriere mich und gehe um 18.30 Uhr ins Theater oder in die Stadthalle oder in die Schulaula oder in den Gemeindesaal, wo eben gespielt wird.
Wie sind Ihre Erinnerungen an die Schwabenlandhalle, mit ihren 1400 Plätzen das vermutlich größte Theater, das Sie auf einer Tournee bespielen dürfen?
Wir freuen uns alle sehr darauf. Es ist für das gesamte Ensemble eine besondere Herausforderung, so einen riesigen Raum bespielen zu dürfen. Hilfreich ist es natürlich, wenn man auf ein großes Publikum blicken kann. Nichts ist frustrierender, als auf lauter leere Plätze zu schauen. Wir hoffen das Beste!