Stuttgarts Ballettintendant Reid Anderson an einem seiner Lieblingsorte: im Ballettsaal Foto: Die arge lola

In den 20 Jahren seiner Intendanz hat das Stuttgarter Ballett fast hundert Uraufführungen realisiert. Das sei weltweit einmalig, sagt Reid Anderson im Interview und verrät, wie man die Aufmerksamkeit von Tänzern und Publikum hoch hält.

Stuttgart - In den 20 Jahren seiner Intendanz hat das Stuttgarter Ballett fast hundert Uraufführungen realisiert. Das sei weltweit einmalig, sagt Reid Anderson und verrät, wie man die Aufmerksamkeit von Tänzern und Publikum hoch hält.

Herr Anderson, in letzter Zeit gab es vor allem gute Nachrichten vom Stuttgarter Ballett. Mit Porsche ist ein Sponsor gefunden, der auch den Neubau für die Cranko-Schule vorangebracht hat. Es kann aber jederzeit anders kommen: In München hat sich jüngst der Hauptsponsor des Bayerischen Staatsballetts verabschiedet, weil ihm der neue Direktor nicht passte. Ein Schreckensszenario für Ihren Nachfolger Tamas Detrich?
Nein, alle kennen meinen Nachfolger bestens, deshalb kann ich ruhig bleiben. Ich bin so glücklich, dass mit Tamas Detrich jemand ernannt wurde, mit dem ich seit mehr als 20 Jahren blendend zusammenarbeite - als Tänzer, dann als mein Stellvertreter, jetzt als mein Nachfolger. Das ist perfekt für mich, für die Kompanie und auch für unsere Sponsoren, weil alle wissen, was auf sie zukommt.
Was haben Sie gedacht, als während der Suche nach einem neuen Intendanten auch der Name von Sasha Waltz fiel?
Ich schätze die Arbeit von Sasha Waltz; doch dass ihr Name plötzlich in Stuttgart im Spiel war, hat mich und sehr viele Leute verblüfft - und für viel Unruhe in der Kompanie gesorgt. Es dauert Jahre, um eine Kompanie wie das Stuttgarter Ballett aufzubauen. Es braucht ein solides Fundament, und dann ein klares Konzept, wie man arbeiten, was man erreichen will. Das alles in Frage zu stellen, geht in sehr kurzer Zeit. Wenn man eine Kompanie völlig anders ausrichten will, dann ist das eine Entscheidung. Aber es werden Dinge passieren, mit denen man nicht gerechnet hat. Braucht man etwa die Schule noch? Dass der Name von Sasha Waltz fiel, hatte jedoch auch etwas Gutes: Man musste in Stuttgart darüber nachdenken, was man überhaupt will.
Mit dem Namen von Sasha Waltz verbindet sich auch der Wunsch nach Veränderung. Wie viel davon tut einer Ballettkompanie gut?
Man braucht ständig Veränderung, darf nie stehenbleiben. Aber Kontinuität ist kein schmutziges Wort, auch nicht, organisiert zu sein und einen Plan zu haben. Für Veränderungen gibt es viele Möglichkeiten: Was für Tänzertypen, was für Choreografen möchte man? Ich versuche auch nach 20 Jahren offen zu bleiben für alles. Wichtig ist, eine Grundidee zu haben. Meine ist: Man braucht eine Kompanie, die gut genug ist, um in verschiedene Richtungen agieren zu können. Ob in Spitzenschuhen oder Schläppchen, ob in Tutu oder Trikot: Abwechslung macht den Tänzerberuf reizvoll. Wenn man Tänzer aufbauen will, dann muss man ihnen verschiedene Richtungen bieten. Auch wenn sie gute klassische Tänzer sind, brauchen sie Möglichkeiten, um ihr dramatisches, ihr modernes Potenzial zu entwickeln. So bleibt eine Kompanie zudem für das Publikum interessant.