Statt bis 2021 in Stuttgart zu bleiben, kehrt er schon 2018 der Stadt den Rücken: Armin Petras, der Intendant des Stuttgarter Schauspiels. Foto: dpa

Armin Petras will nicht mehr. Statt bis 2021 bleibt er nur bis 2018 in Stuttgart. Auch wenn der Intendant dafür familiäre Gründe anführt, reagiert er auf Kritik an seiner Arbeit auffallend gereizt.

Stuttgart - Der Schauspiel-Chef Armin Petras erläutert die Gründe für seinen Rückzug – und wehrt sich gegen Kritik.

Herr Petras, am Montag haben Sie mit Ihrer Ankündigung, Stuttgart vorzeitig zu verlassen, alle überrascht. Wie lange haben Sie über dieser Entscheidung gebrütet?

Auf jeden Fall über den Sommer hinweg und verstärkt im vergangenen Monat.

Und was hat am Ende den Ausschlag gegeben, die Schauspiel-Intendanz im Sommer 2018 niederzulegen?

Ausschlaggebend waren am Ende familiäre und persönliche Gründe. Meine Lebenserfahrung sagt mir: Wenn man sich zu einer Entscheidung durchgerungen hat, zumal zu Gunsten der Familie, nimmt man das auch als Befreiung wahr. Wie ist das bei Ihnen? Ich trage Verantwortung – und zwar in vielerlei Hinsicht. Ich habe eine Verantwortung gegenüber meiner Familie, aber auch eine Verantwortung gegenüber meinem Ensemble, sozusagen meiner zweiten Familie. Aber abzuwägen, welcher der beiden Familien ich den Vorrang gebe, war ein großes Problem für mich. Jetzt habe ich mich entschieden. Und natürlich ist jede Entscheidung eine Befreiung, was aber nicht ausschließt, dass ich sie bei anderen Gelegenheiten als schmerzlich empfinde.

Hat Sie auch die Kritik zermürbt?

Das glaube ich nicht. Das gehört zum Alltag eines Theaterchefs, dass die Arbeit, die er an seinem Haus leistet, von allen Seiten kritisiert wird. Im Übrigen gab es auch viele positive Beschreibungen. In der Summe habe ich die Einschätzungen schlicht als ambivalent empfunden, fifty-fifty. Ich bin auch sehr gerne in Stuttgart, habe hier viel Zuspruch erhalten und weiß, dass es nicht viele Theater in Deutschland gibt, die in drei Spielzeiten zweimal zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden sind: Wir waren dort 2014 mit „Onkel Wanja“ und 2015 mit dem „Fest“ zu Gast. Zudem gibt es eine starke Geschlossenheit im Ensemble. Mir ist nicht bekannt, dass auch nur ein einziger Schauspieler weggegangen ist, weil er mit der Intendanz oder einzelnen Regisseuren nicht zufrieden gewesen ist. Wenn uns jemand verlassen hat, folgte er meistens dem Angebot eines größeren Hauses oder hatte private Gründe.

„Wir sind geholt worden, um neue Ästhetiken auszuprobieren“

 
Im Vorfeld Ihrer Intendanz haben Sie mit der Bemerkung, es sei Ihnen keine Stadt fremder als Stuttgart, für Irritationen gesorgt. Ich habe den Eindruck, dass Sie diese Fremdheit nie überwunden haben.
Das Gefühl habe ich nicht. Wie gesagt: Ich fühle mich sehr wohl in dieser Stadt. Wir haben viele Partner gewonnen, mit denen wir kontinuierlich zusammenarbeiten. Dazu gehört das Kunstmuseum, die Kunstakademie, die Schauspielschule, die Universität, das Literaturhaus ... Das dürfte auch Ihnen nicht entgangen sein.
Ist es auch nicht. Und mir ist auch nicht entgangen, dass Sie 2013 mit dem Anspruch angetreten sind, regionale und lokale Stoffe auf die Bühne zu bringen.
Wir haben diesen Anspruch in unserer ersten Spielzeit programmatisch verankert und nennen ihn „Spurensuche“. Und wir lösen den Anspruch auch ein: beispielsweise mit „Pfisters Mühle“, das Wilhelm Raabe in Stuttgart geschrieben hat, oder mit dem im Schwarzwald spielenden den „Kalten Herz“ von Wilhelm Hauff oder – in der aktuellen Spielzeit – mit den „Ehen in Philippsburg“ von Martin Walser, ein Porträt des Aufbruchs im Stuttgart der fünfziger Jahre. Auch diese Liste ließe sich weiter fortsetzen.
Aber warum haben diese stadtbezogenen Themen nie die Dringlichkeit erreicht, die sie unter Ihrem Vorgänger Hasko Weber hatten?
Zur Ästhetik unter meinem Vorgänger kann ich mich nicht äußern. Ich kann nur sagen: Wir sind vor vier Jahren von der Politik geholt worden, um neue Ästhetiken auszuprobieren. Und das machen wir auch. Aber wenn Sie auf das Gesamtprogramm schauen, merken Sie, dass diese ästhetischen Innovationen nur einen Teil unseres Angebots ausmachen. Wir bieten daneben auch Schauspielertheater, denken Sie an „Szenen einer Ehe“ oder „Herbstsonate“, beides in der Regie von Jan Bosse, oder an „August: Osage County“, das Stephan Kimmig inszeniert hat. Inszenierungen dieser Art zählen gewiss nicht zum hochexperimentellen Teil unseres Angebots. Aber dass es diese experimentellen und avantgardistischen Inszenierungen gibt und geben wird, bis zum Ende meiner Intendanz, das ist klar.
Das finde auch ich richtig. Allerdings schließt diese Zustimmung nicht aus, dass man einzelne dieser Arbeiten für misslungen hält.
Misslungen? Das liegt im Auge des Betrachters. Ich würde fragwürdig – im positiven Sinne – sagen, wie überhaupt alles, was im Theater geschieht, fragwürdig sein muss. Jeder Abend muss ein Experiment sein, sonst ist er nicht gültig. Er muss offene Auseinandersetzungen und Überraschungen bieten, er muss die Zuschauer erfreuen und beglücken, aber auch verunsichern und schocken – das ist meine Aufgabe als Regisseur.
Aber zum Problem werden solche Abende doch, wenn sie künstlerisch floppen.
Das sagen Sie: künstlerisch floppen. Wir haben zum Auftakt dieser Spielzeit vier Premieren gehabt, davon sind drei zu über neunzig Prozent ausverkauft. Nur „Lolita“ läuft nicht so toll, was nicht zuletzt an Ihrem Verriss liegt, aber gewiss nicht an dem, was auf der Bühne passiert. Die Zuschauer sind zum großen Teil begeistert – und natürlich ist Christopher Rüping, der die „Lolita“ inszeniert hat, ein avantgardistischer Regisseur, der selbst mich mit manchen seiner Regie-Wendungen irritiert. Aber dafür werde ich bezahlt: dass ich mit dem Schauspiel den nächsten Schritt gehe. In dieser Stadt gibt es verschiedene Theater mit den unterschiedlichsten ästhetischen Handschriften. Und das ist gut so.

„Es sieht im Moment nach dem Turnaround aus“

Lassen Sie mich einhaken: Werden Sie auch dafür bezahlt, Zuschauer zu vergraulen?
Nein, dafür nicht. Aber die Zuschauerzahlen für diese Saison sprechen bis jetzt eine ganz andere Sprache.
Sie haben nach der Verwaltungsratssitzung gesagt, dass Sie in dieser Spielzeit den „Turnaround“ schaffen werden, was die Zuschauerzahlen anlangt.
Ich habe gesagt, dass es im Moment nach dem Turnaround aussieht. Derzeit haben wir eine Auslastung von 80 Prozent...
... was bei der Auslastung gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung um 6 Prozent wäre.
Richtig. Unabhängig davon bin ich aber überzeugt, dass es nicht notwendig ist, ein Theater zu neunzig Prozent auszulasten. Das ist schön, klar, aber notwendig ist vor allem, dass das Theater Diskussionen anregt, auch wenn Sie das womöglich anders sehen.
Zu den Vorwürfen, die kursieren, gehört auch Ihre mangelnde Präsenz in der Stadt. In einem Interview mit dieser Zeitung haben Sie in Aussicht gestellt, diese Präsenz zu verstärken. Spricht daraus die Einsicht, dass Sie Ihr Haus in der Vergangenheit vernachlässigt haben?
Meine Lust, zusammen mit dem Ensemble hier zu arbeiten, ist größer denn je. In dieser Spielzeit werde ich keine Premiere mehr haben, die nicht mit Stuttgart in Verbindung steht.
Was Ihn niemand vorwirft, ist Faulheit. Sie sind ein Workaholic, haben im Oktober in Leipzig „Kruso“ von Lutz Seiler inszeniert und proben derzeit in der Stuttgarter Oper „Orpheus in der Unterwelt“  . . .
Worauf wollen Sie hinaus?
Darauf: Bleibt Ihnen tatsächlich noch Zeit für die angemessene Leitung des Hauses?
Je mehr ich hier probe, umso intensiver bin ich da. Ich probe höchstens sechs Stunden, die restlichen sechs bis acht Stunden arbeite ich im lntendantenbüro. Das macht rund vierzehn Stunden pro Tag, was einem Schwaben eigentlich gefallen muss. Im Ernst: Fleiß ist für mich keine Kategorie. Arbeit hat was mit Freude und Lust und innerem Antrieb zu tun. Solange ich all das habe, bin ich ein froher Mensch. In Stuttgart habe ich das noch, weshalb ich mit voller Energie in die mir noch bleibenden anderthalb Jahre gehe.