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Willkommen in Deutschland? Ein Beispiel aus Brandenburg zeigt, wie die Aufnahme von Asylbewerbern laufen kann: In Perba will man keine Flüchtlinge haben – Alles eine Frage der Kommunikation.

Perba - Man braucht einen sehr guten Grund, um nach Perba zu kommen. Wer den Ort beschreiben will, der irgendwo im Hügelland nordwestlich von Meißen liegt, merkt schnell, dass es besser ist zu sagen, was es dort nicht gibt: einen Laden, ein Café, eine Schule, einen Kindergarten, einen Arzt, eine Tankstelle. Am Wochenende muss angerufen werden, damit der Bus kommt. Das Straßendorf hat 170 Einwohner und gehört zur Stadt Nossen.

Der Ort hätte eigentlich ausgezeichnete Chancen gehabt, weiter im Windschatten der Geschichte zu leben, weit unterhalb des Radars von Öffentlichkeit und Nachrichtensendungen. Niemandem im Ort wäre das unangenehm gewesen. Nun ist alles anders. Journalisten aus ganz Deutschland fallen in Perba ein. Die „Irish Times“ war auch schon da. Das liegt daran, dass die Aufzählung nicht vollständig war: Perba hat nämlich doch etwas: einen alten Plattenbau aus den Zeiten der späten DDR. LPG-Arbeiter fanden einst dort Unterkunft. Seither vergammelt der Bau, auch wenn noch wenige Mieter darin wohnen. Angeblich, so munkelte man, gehört der Kasten einem bayerischen Unternehmer, der nun in Leipzig wohnt. Die Platte macht nun Karriere, denn der Eigentümer ist geschäftstüchtig. Der Landkreis Meißen/Land sucht händeringend nach geeigneten Unterkünften für Asylbewerber. Da hatte der Mann eine Idee . . .

Am 13. November 2014 findet im Nossener Ratssaal eine Ratssitzung statt. Der Zuschauerraum ist voll. Es hatte viele Gerüchte gegeben. Nun werden sie bestätigt. Das Protokoll der Sitzung fasst die Mitteilung des Bürgermeisters Uwe Anke nüchtern zusammen: Die Stadtverwaltung sei vom Landkreis darüber informiert worden, „dass der Privateigentümer eines Wohnblocks in Perba 13 Wohnungen zur Unterbringung von rund 50 Asylbewerbern angeboten hat und der Landkreis dieses Angebot annehmen wird“. Der Blitz schlägt ein in Perba.

Und nun beginnt diese ganze Geschichte. Eine außergewöhnliche Geschichte, ganz bestimmt. Aber sicher auch eine beispielhafte. Weil sie zeigt, wie Kommunikation scheitern, wie guter Wille an Sachzwängen abprallen kann. Und ganz am Ende zeigt sie auch, was Bürger, die weder rechtsradikal noch deutschnational sind, dazu bringt, sich bei Pegida einzureihen.

Ortsversammlung im Gasthof Lossen. Im Nachbardorf, denn in Perba gibt es keinen geeigneten Raum für den Andrang. Ende November: Die Stimmung schlägt hoch. Der Landrat ist da, der Beigeordnete des Kreises, der Bürgermeister. „Wie würden Sie es finden, wenn Sie ungefragt 50 Asylbewerber vor die Haustür gesetzt bekommen?“, fragt jemand. Der „Wertverlust für die Immobilien im Ort“ wird beklagt. Die Angst vor Kriminalität. „Ich traue mich dann nicht mehr, allein in den Wald zu gehen“, sagt eine junge Frau. Und immer wieder der Vorwurf: „Wir werden hier vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Eine Ärztin aus dem Nachbarort sagt, die Flüchtlinge müssten doch medizinisch betreut werden. „Ich betreue jetzt schon Patienten einer Kollegin in Altersteilzeit und arbeite täglich bis zu 14 Stunden.“

Sorgen gibt es viele. Aber Fremdenhass hat keine Chance. Die NPD hat sich unter die Zuschauer gemischt, wittert Beute. Ein Ex-Landtagsabgeordneter der Partei will das Wort. Man entzieht es ihm. Die Bürger machen ein Angebot: Drei Familien, 15 Personen, ja, das könnte klappen, damit käme man irgendwie zurecht. Aber nicht 50 und womöglich alles junge Männer.

Das alles lädt sich laut und wütend auf die Vertreter der Verwaltung ab. Die Bürger hoffen, dass ihr Protest Wirkung erzielt. Das ist ein Missverständnis. Die Entscheidung ist ja längst gefallen, der Mietvertrag unterschrieben. So scheitert der Dialog geradezu klassisch: Ulrich Zimmermann ist der zuständige Beigeordnete des Landkreises. Seine langen Erklärungen münden in eine Formulierung, die die Bürger – wohl nicht nur in Perba – zu oft schon gehört haben: „Es gibt keine Alternative.“

Im Kreis habe sich die Zahl der untergebrachten Asylbewerber binnen drei Jahren mehr als vervierfacht. Die nächsten 200 sind schon von der zentralen Aufnahmestelle des Landes angekündigt. Ein festgelegter Schlüssel bestimmt die Aufnahmequote der Kreise. „Wir haben eine Pflicht zu erfüllen.“ Ein Umbau großer Gebäude hätte Millionen gekostet. Und dezentrale Einzelwohnungen seien dem Kreis nicht angeboten worden.

Das bestätigt auch Nossens Bürgermeister Uwe Anke. Er versteht die Leute aus Perba. Er will nicht dastehen als jemand, der ihre Nöte nicht ernst nimmt. Geduldig gibt er Journalisten Auskunft. Auch er empfinde die Unterbringung in Perba als „sehr unglücklich“. Das hat er dem Landkreis auch schriftlich gegeben. Aber er gibt ganz offen zu: „Wir sind in einer schlechten Verhandlungsposition.“ Eigentlich in gar keiner. Denn auch er konnte dem Landkreis keine alternative Variante präsentieren. Anke müht sich redlich, auf die Ängste einzugehen. Weil es vorher schon Klagen über eine dunkle Ecke im Ort gab, hat er dort nun Laternen aufstellen lassen. „Es soll zeigen: Wir lassen die Menschen nicht allein.“

Zu deren Sprachrohr ist nach und nach Joachim Möhler geworden. Er war Betriebsleiter einer nahen Ziegelei. Jetzt ist er Rentner. Er hat einen stummen Protest vor dem Landratsamt organisiert, zahllose Briefe an Politiker und Beamte geschickt, Unterschriftslisten initiiert.

Er hat an einer Veranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung in Dresden teilgenommen. Dort hat er für die Bürger in Perba gesprochen. Das hat dem Fall dann bundesweite Aufmerksamkeit beschert. Er hat sogar den Chef der Landeszentrale, Frank Richter, zu einer Diskussionsveranstaltung in den Nachbarort Schleinitz gebracht. Irgendwann war er ernüchtert. „Da dringt nichts durch“, sagt er. „Die Unterschriftenliste wirkungslos, der offene Brief an den Landtag unbeantwortet, die Antwort von Ministerpräsident Tillich nichtssagend. Was sollte ich tun?“

Er hat dann doch noch etwas getan. Irgendwann hing an der Bushaltestelle ein Aushang: „Eine Missachtung unserer Befindlichkeiten“ sei es, die Unterbringung „ohne ein weiteres Gespräch mit uns durchzuboxen“. Es zeige sich wiederholt, „dass die Interessen und Sorgen der Bevölkerung keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Politik haben“. Und dann: „Uns bleibt keine andere Wahl als Pegida.“ Möhler ruft zur Teilnahme an den Demos auf, war selbst zweimal dabei. Pegida sei für ihn „nur ein Werkzeug“, ein „Instrument der Wahrnehmung“. Er versteht nicht, „warum das medial so verrissen wird“.

Die Asylbewerber kommen dennoch. Später als angekündigt, das schon. Und nicht auf einen Schlag. Und vielleicht tatsächlich überwiegend Familien. Sie haben wohl einen sehr guten Grund, in das weite Hügelland nordwestlich von Meißen zu kommen.

Und einer hat doch geantwortet. Perba gehört zum Wahlkreis von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Am Ende seines Briefes an Joachim Möhler heißt es: „Das Verhältnis Einwohner zu Asylsuchenden soll bei Ihnen 1:3 werden. Das kann problematisch sein. Es sind in erster Linie schutzbedürftige Menschen, die nach unserem Grundgesetz einen Anspruch auf Hilfe haben.“ Und dann: „Starten Sie den Versuch, die Flüchtlinge als Menschen kennenzulernen, dann schwinden möglicherweise die größten Sorgen und Ängste.“

Er hat sich wenigstens näher mit unserem Fall befasst, sagt Joachim Möhler. In Perba und Umgebung hat man jetzt Fahrräder für die Flüchtlinge gesammelt. Auch Wohnungseinrichtung. Ein Anfang. Möglicherweise.

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