Der Berg Jusi gehört eigentlich zum Ballungsraum, die Gegend wirkt aber ländlich: Projekte in den Randgebieten werden vom Land gefördert Foto: Leif Piechowski

Nirgends in Europa ist der ländliche Raum wirtschaftlich stärker als in Baden-Württemberg. Dennoch hat die Provinz ein Problem: Die Landstriche sind überaltert, junge Leute wandern in Ballungsräume ab. Das Land setzt Förderprogramme dagegen: 2015 gibt es einige Neuerungen.

Stuttgart - Rund 70 Prozent der Fläche im Land gehören zum ländlichen Raum. Allerdings leben dort nur 35 Prozent der Bevölkerung – Tendenz seit 2005 sinkend.

Volkswirtschaftlich wird die Entwicklung einer Region mit der sogenannten Bruttowertschöpfung gemessen. Sie ergibt sich aus dem Gesamtwert der produzierten Waren und Dienstleistungen. Eine Studie belegt, wie stark der ländliche Raum in Baden-Württemberg ist: Demnach wuchs die Bruttowertschöpfung seit dem Jahr 2000 in den ländlichen Gebieten sogar stärker als in den Ballungsräumen.

Als Rückgrat dieser Entwicklung hat Stefan Siedentop, Professor am Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart, bereits 2011 das produzierende Gewerbe im ländlichen Raum ausgemacht. Anders als in anderen europäischen Ländern sitzen dort viele mittelständische Unternehmen und häufig auch die Weltmarktführer in ihrer Branche. Die positive wirtschaftliche Entwicklung dort spiegelt sich auch in einer relativ geringen Arbeitslosenquote wider.

Forschung und Wissenschaft sind auf dem Land allerdings unterrepräsentiert. Das Land hat deshalb gut ein Viertel der Hochschulstandorte gezielt im ländlichen Raum angesiedelt. Kooperationen zwischen Hochschulen und Wirtschaftsunternehmen sollen Studierende schon während ihrer Ausbildung an Unternehmen binden und damit verhindern, dass hoch qualifizierte Fachkräfte in die Ballungsräume abwandern.

Dennoch lässt sich die seit 2005 erkennbare Abwanderung junger Leute schwer stoppen. Wenn dieser Trend anhält, sind öffentliche Einrichtungen und Angebote wie etwa der Nahverkehr nicht mehr rentabel und müssten ausgedünnt werden. Darunter würde umgekehrt die Attraktivität des ländlichen Raums leiden – eine fatale Spirale.

Schwerpunktgemeinden, die sich fundiert bewerben, werden bevorzugt berücksichtigt

Das Ministerium für Ländlichen Raum hat deshalb bereits 2012 ein Förderprogramm aufgelegt, das zum Jahreswechsel in einer novellierten Fassung in Kraft tritt und dann bis 2021 gilt. Dieses Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum (ELR) richtet sich an Städte und Gemeinden, aber auch an Unternehmen und Privatpersonen. Neu ist, so Karl Burgmaier, Leiter des Referats Strukturentwicklung ländlicher Raum, dass jetzt sogenannte Schwerpunktgemeinden besonders berücksichtigt werden sollen. Sie sollen etwa ein Drittel der gesamten Fördermittel erhalten. „Das geht weg vom Gießkannenprinzip“, so Burgmaier.

Allerdings müssen diese Gemeinden dafür einiges vorweisen. „Sie müssen sich wirklich tiefere Gedanken machen und umfassende Entwicklungskonzeptionen erarbeiten“, sagt Burgmaier. Fundierte Anträge würden mit höheren Fördersätzen honoriert. Grundsätzlich müssen Schwerpunktgemeinden zu vier Punkten ausführlich Stellung nehmen: Einer davon ist, wie sie dem demografischen Wandel begegnen wollen. Zweitens müssen sie eine Aussage treffen, wie sie die flächensparende Siedlungsentwicklung voranbringen wollen. Kommunen, die etwa Neubaugebiete ausweisen, obwohl sie innerorts Leerstände haben, sammeln Minuspunkte.

Beim dritten Punkt geht es um Natur- und Landschaftsschutz. Die Gemeinden müssen darstellen, ob sie einen Biotopverbund oder Ähnliches planen und was konkret sie zum Natur- und Klimaschutz beitragen. Neu ist der vierte Punkt, bei dem es um die Bürgerbeteiligung geht. „Die Themen müssen mit den Bürgern breit diskutiert werden, eine Haushaltsbefragung oder Bürgerversammlung genügt da nicht“, sagt der Referatsleiter. Hintergrund ist, dass die grün-rote Landesregierung, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, die Bürgergesellschaft voranbringen will. Anträge, die sich stärker am Gemeinwohl orientieren, haben größere Chancen.

Bislang musste tatsächlich rund die Hälfte aller Förderanträge abgelehnt werden. In den vergangenen drei Jahren konnte das Land laut Burgmaier jährlich knapp 750 Projektanträge mit einem Gesamtvolumen von 50 Millionen Euro bedienen – ebenso viele wurden abgelehnt. 80 Prozent der Fördermittel fließen tatsächlich in den ländlichen Raum. Rund 20 Prozent kommen aber auch im Ballungsraum an – wenn ein Teilort die Kriterien eines ländlich geprägten Dorfes erfüllt.

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