Senkrecht-Starterin in der Klassik-Szene: Pianistin Alice Sara Ott Foto:  

Alice Sara Ott ist eine Senkrecht-Starterin in der Klassikszene. „In klassischen Konzerten“, sagt die 25-jährige Pianistin im Interview, „gibt es viel zu viele Regeln. Dadurch sind alle total verkrampft.“


Frau Ott, warum spielen Sie in Stuttgart so oft Beethovens „Für Elise“ als Zugabe? Ist das Ihre Rache für die Huster im Publikum?
(Lacht) Nein, nein! Als Kind habe ich dieses Stück zwar gehasst, weil es dauernd in den Schülerkonzerten gespielt wurde und weil so viele es als Handy-Klingelton hatten. Eigentlich wollte ich das niemals in meinem Leben spielen. Als ich dann aber die Beethoven-CD aufgenommen habe, kam aus Japan die Anfrage, ob ich „Für Elise“ nicht als Bonustrack einspielen wolle. Als die Bitte zum dritten Mal kam, habe ich mir die Noten gekauft – und war total erstaunt, dass das eigentlich ein ganz schönes Stück ist.

Warum wird im Konzertsaal so viel gehustet?
Ach, in klassischen Konzerten gibt es viel zu viele Regeln! Man darf dies nicht machen und jenes nicht, dadurch sind alle total verkrampft. Ich habe zuletzt ein paarmal in Clubs gespielt, da sind die Menschen ganz entspannt, und da hustet keiner.

Ihnen wäre es also auch recht, wenn das Publikum zwischen den Sätzen einer Sonate klatschen würde?
Aber ja! Musik ist zum Genießen da.

Was ist schwieriger zu spielen: Liszts „Etudes transcendentales“ oder Beethovens Hammerklavier-Sonate?
Ich finde Beethoven schwieriger. Liszt war ein sehr guter Pianist, bei ihm liegt nichts schwer in der Hand, hier ist die Herausforderung eher, das Schwierige leicht wirken zu lassen und dem Publikum die Musik zu vermitteln, die oft hinter vielen Noten versteckt ist. Wenn das Publikum denkt, Liszt biete nur technischen Zirkus, dann hat der Interpret etwas falsch gemacht. Mit Beethovens großen Sonaten dagegen wird ein Pianist nie fertig. Für mich sind das ewige Rätsel.

Gerade ist Ihre Aufnahme von Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“ auf CD erschienen. In Stuttgart werden Sie Griegs Klavierkonzert spielen. Beides sind nicht gerade Raritäten . . .
Bei den Klavierkonzerten ist das Repertoire begrenzt, da muss man leider immer wieder die abgenudelten Sachen spielen. Da besteht dann die Herausforderung darin, im gut Bekannten Neues zu finden, einen frischen Ansatz. Das gilt auch für Solowerke wie die „Bilder einer Ausstellung“, die ich schon seit meinem Studium bei Karl-Heinz Kämmerling in Salzburg gut kenne. Mit zwölf Jahren bin ich in seine Klasse gekommen, und die meisten Studenten waren Russen. Die haben tagein, tagaus Mussorgsky gespielt. Heute habe ich selbst immer mehr Spaß an dem Stück. Das liegt auch daran, dass es hier nicht nur um Klänge zu einer harmlosen Bildergalerie geht, sondern dass diese Musik aufregende Fantasien freisetzt und dass ein versteckter Zweifel dahintersteckt. Dieser politische Impetus ist heute noch aktuell.

Die „Bilder“ sind eine Live-Aufnahme. Sitzen Sie nicht gerne im Studio?
Doch, aber ich halte nichts davon, jeden Takt mehrfach aufzunehmen und das Ganze dann zusammenzustückeln. Der natürliche Fluss muss bleiben. Das war allerdings in diesem Fall sehr schwierig: Die Aufnahme entstand in St. Petersburg, der Flügel dort war in einem fürchterlichen Zustand, und ständig kamen Putzfrauen oder Feuerwehrmänner in den Saal.

Fühlen Sie sich auf der Bühne einsam?
Nein, ich habe doch das Publikum. Live-Konzerte leben von der Kommunikation.

Mozart haben Sie noch nicht viel gespielt. Glauben Sie Ihrem prominenten Kollegen Glenn Gould, der behauptete, die meisten Sonaten Mozarts seien schlechte Musik?
Für mich ist Gould ein Idol. Seine „Goldberg-Variationen“ sind etwas, das man nicht nachmachen kann und sollte. Er hat mir beigebracht, dass in der Musik alles nur einmal geschieht und dass jeder seinen eigenen Weg finden muss. Über den Rest lässt sich streiten, auch über seine Mozart-Interpretationen. Ich möchte mir mit dieser Musik noch Zeit lassen. Sie ist ja gerade deshalb so schwer, weil sie so nackt ist und weil sie so einfach klingt.

Es gibt zurzeit sehr viele junge, hoch begabte Pianisten. Wer von ihnen wird Erfolg haben?
Derjenige, der sich nicht auf das Äußere verlässt, sondern an sich arbeitet und etwas zu sagen hat. Außerdem muss man sich in diesem harten Geschäft behaupten können. Ich möchte, dass mich die Menschen noch in zehn, 20 Jahren hören wollen, wenn ich nicht mehr jung und knackig bin.

Gibt es nicht zu viele junge Pianisten auf dem Markt: ein potenzielles Pianisten-Prekariat?
Es muss einem von Anfang an klar sein, dass man in diesem Job nur in Ausnahmefällen gut verdienen kann. Na ja, ich habe natürlich gut reden. Aber auch ich bin ein großes Risiko eingegangen, und in vieler Hinsicht kämpfe ich noch heute.

Was tun Sie, wenn Sie nicht Klavier spielen?
Eine Menge! Ich wohne seit Mai in Berlin-Kreuzberg, da koche ich viel, lese und male auch gerne. Heute Abend bin ich bei einem Konzert von Freunden die Notenwenderin, das ist doch mal etwas anderes.

Haben Sie schon einmal auf einem historischen Instrument gespielt?
Ja, und das war auch der Auslöser dafür, dass ich heute barfuß spiele. Da kam ich mit hohen Absätzen an und merkte, dass ich die Knie nicht mehr unter die Tastatur schieben konnte. Als ich dann die Schuhe auszog, fand ich das Barfuß-Spielen so angenehm, dass ich es seither beibehalten habe. Ich ziehe jetzt immer sehr lange Kleider an, damit das nicht jeder gleich sieht.

Wenn Sie früher als 1988 geboren worden wären: Wer wären Sie dann gerne gewesen?
Auf jeden Fall eine starke Frau. Helen Keller, Madame Curie, Coco Chanel. Wahrscheinlich also keine Musikerin, nicht einmal Clara Schumann.

Vielleicht wären Sie ja auch ein Mann gewesen. Rubinstein, Horowitz . . .
Nein, dann Leonardo da Vinci. Ein Multitalent, Wahnsinn. Oder jemand ganz anderes. Vielleicht Kolumbus? Ach was, ich bin schon ganz glücklich in der Gegenwart.
Sonntag, 3. 2., 19 Uhr, Beethovensaal. Karten unter 07 11 / 52 43 00 und im Internet unter www.stuttgartkonzert.de