Nach der ICE-Panne im Pulverdinger Tunnel im vergangenen August wurde das Verfahren eingestellt.

 

Vaihingen/Enz - 420 Fahrgäste eines ICE saßen an einem Sonntag im August bei Temperaturen über 35Grad rund drei Stunden lang im Pulverdinger Tunnel fest – ohne Klimaanlage, nur mit Notstrom für Türöffner und Toiletten. Mehrere Passagiere bekamen Kreislaufprobleme, eine Frau musste über Nacht sogar ins Krankenhaus. Der Fall warf Fragen auf: Hat das Notfallmanagement der Bahn versagt? Hätten der Lokführer und das Zugpersonal die Leidenszeit der Passagiere verhindern oder wenigstens verkürzen können?

Die Bundespolizei schaltete sich ein, die Staatsanwaltschaft Heilbronn ermittelte wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen Unbekannt. Doch keiner will schuld gewesen sein, und auch deshalb hat man keinen Schuldigen gefunden: Nach unseren Informationen wurde das Verfahren eingestellt. Man habe keine Hinweise darauf gefunden, dass einer der Verantwortlichen in dem Fall seine Sorgfaltspflicht verletzt habe, sagte Harald Lustig, Sprecher der Heilbronner Staatsanwaltschaft.

Der Lokführer hätte die Notbremsung manuell außer Kraft setzen können

Der ICE 595 war am 22. August auf dem Weg von Berlin nach München bei Vaihingen/Enz liegenbleiben. Ein defekter Isolator auf dem Dach des Zuges hatte die Stromversorgung des Zuges zusammenbrechen lassen. In solchen Fällen bringt sich der Zug automatisch per Notbremsung selbst zum Stehen. Allerdings soll ein Zug gemäß den Sicherheitsvorschriften der Bahn nicht in einem Tunnel zum Stehen kommen.

Theoretisch hätte der Lokführer auch die Möglichkeit gehabt, die Notbremsung manuell außer Kraft zu setzen und so dafür zu sorgen, dass der ICE erst nach dem 1900 Meter langen Tunnel anhält. Dies hätte die konkrete Situation und die spätere Bergung der Passagiere vermutlich erleichtert. „Der Lokführer hat von dieser Möglichkeit aber im vorliegenden Fall keinen Gebrauch gemacht“, so der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Warum der Lokführer so handelte, konnten die Ermittler aber ebensowenig klären wie die Frage, ob ein Verzögern der Notbremsung im konkreten Fall besser oder vielleicht sogar gefährlicher gewesen wäre. „Das ist alles nicht mehr überprüfbar“, so Lustig.

Wenig Kooperationsbereitschaft der entsprechenden Behörden von Bahn und Bund

Ein Grund für das magere Ermittlungsergebnis ist offenbar auch die nicht gerade ausgeprägte Kooperationsbereitschaft der entsprechenden Behörden von Bahn und Bund. Wohl auch weil letztlich niemand ernsthaft zu Schaden kam, hat sich die Staatsanwaltschaft im konkreten Fall ganz auf die Experten der Eisenbahn-Unfalluntersuchungsstelle des Bundes (EUB) verlassen. Die überprüfte monatelang den Fall, ließ sich dabei dem Vernehmen nach auch von der Bundespolizei kaum in die Karten blicken, und kam dann zum Ergebnis, dass keiner Schuld an dem Vorfall trägt. „Die sagen, dass es ein Unglücksfall war, den man nicht vermeiden konnte“, fasst Lustig die Auskunft der Behörde zusammen.

Diese Auskunft liegt der Staatsanwaltschaft bislang nur mündlich vor. Auf eine schriftliche Expertise, die angeblich bereits seit langem fertig ist, wartet man in Heilbronn bis heute. Beim nächsten Unglücksfall werden sich die Ermittler vermutlich nicht mehr blindlings auf die Bundesbehörde verlassen. Die EUB ist zwar nach eigenen Angaben „eine unabhängige Stelle zur Untersuchung von gefährlichen Ereignissen im Eisenbahnbetrieb“. Tatsächlich aber untersteht sie direkt dem Bund, der wiederum Eigentümer der Bahn ist, und auch mit der Bahn AG selbst bestehen recht enge Verbindungen. „Es war für uns in diesem Fall ein Stück weit ein Problem, unabhängig an Material heranzukommen“, beschreibt Lustig diplomatisch die Gemengelage.

Bahn entschädigte die Betroffenen großzügig

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hätte die Panne wohl besser gehandhabt werden können, denn nach dem Halt im Tunnel entwickelte sich ein „mittelprächtiges Desaster“, wie Lustig sagt. Eine Hilfslok wurde herbeigerufen, um den ICE aus dem Tunnel zu ziehen, doch sie war zu schwach, um den notgebremsten Zug wieder flott zu machen. Schließlich mussten alle Passagiere auf freier Strecke in einen Ersatzzug umsteigen und kamen schließlich mit dreistündiger Verspätung in Stuttgart an, wo sie ärztlich und mit Wasser versorgt wurden.

Der Ärger der Betroffenen, die von der Bahn großzügig entschädigt wurden, verrauchte aber offenbar schnell. Laut Lustig hat keiner der Passagiere Strafanzeige gestellt oder über einen Anwalt Akteneinsicht beantragt. „Dies zeigt, dass das Interesse der Betroffenen an einer Strafverfolgung in dem Fall eher gering ist“, sagt Lustig. An Art und Ergebnis des Verfahrens, beteuert er, hätte aber auch ein stärkerer Druck von Seiten der Betroffenen nichts geändert.