Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht Foto: Daimler

Ein Großteil der Mitarbeiter bei Daimler will mehr von zu Hause und von unterwegs arbeiten. Das ist das Ergebnis einer Großangelegten Befragung der Beschäftigten. Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht sagt, wo er bei den Verhandlungen mit dem Unternehmen die größten Hürden sieht.

- Herr Brecht, welche Ergebnisse der Mitarbeiterumfrage zur mobilen Arbeit haben Sie am meisten überrascht?
Dass die Beteiligung so enorm war. Die Resonanz war so groß, dass das System zeitweise an der Belastungsgrenze war.
Was heißt das in Zahlen ausgedrückt?
Wir haben 82 000 Mitarbeiter angeschrieben und von denen haben wir 33 461 Rückmeldungen bekommen – das sind fast 41 Prozent und ist somit eine sensationelle Beteiligung. Dabei waren wir zunächst skeptisch, ob der Wunsch nach mehr mobiler Arbeit überhaupt vorhanden ist.
Und wie groß ist der Wunsch?
Für 90 Prozent der Beschäftigten hat mobile Arbeit eine positive Bedeutung. Sie versprechen sich dadurch konzentrierteres Arbeiten, weniger unnötige Wege und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Wie groß ist hier der Nachholbedarf?
Mehr als 60 Prozent sehen heute Schwierigkeiten, wenn es darum geht, Privatleben und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Und in der mobilen Arbeit sehen 55 Prozent ein Instrument, wie wir das verbessern können.
Das klingt theoretisch super. Aber in der Praxis scheitert mobile Arbeit oft am Vorgesetzten.
Könnte man vermuten. Ich war deshalb selbst überrascht, wie gering diese Sorge bei unseren Mitarbeitern ist. Die Kollegen haben den Eindruck, dass die Führung bei uns eher ergebnisorientiert als zeitorientiert ist. Zwei Drittel der Menschen sehen in der heutigen Führungsbeziehung keine Probleme und erwarten keine Nachteile davon, wenn sie von zu Hause aus arbeiten. Das fand ich bemerkenswert.
Was hindert die Leute dann eigentlich daran, heute schon mehr mobil zu arbeiten?
Ein wichtiger Punkt ist die Technik. Fast alle Mitarbeiter haben gesagt, dass mobiles Arbeiten nur möglich ist, wenn die IT-Ausgestaltung stabil und sicher ist. Ich bin auch einer, der viel unterwegs arbeitet und kann aus eigener Erfahrung sagen, dass wir etwa bei der Netzverfügbarkeit oder bei der Geschwindigkeit der Datenübertragung noch besser werden müssen. Ein weiteres Hemmnis von mobiler Arbeit ist die Präsenzkultur.
Wie äußert sich die?
Wir haben eine Gremienkultur. Kultur klingt zwar gut, übersetzt in die Realität heißt das aber, dass wir jede Menge Sitzungen haben. Der Entwickler etwa ist weit davon entfernt, den ganzen Tag zu entwickeln. Stattdessen sitzt er erst mit dem Lieferantenmanagement zusammen, konferiert dann mit den Zulieferern und muss sich anschließend mit der Produktion besprechen.
Und diese Konferenzen wollen Sie jetzt alle abschaffen?
Das sind zunächst mal Punkte, die wir jetzt als Hemmnisse auf dem Tisch liegen haben und für die wir in den nächsten Monaten nach Lösungen suchen wollen. Eine Kulturveränderung muss systematisch entwickelt werden. Es ist ja nicht so, dass der Personalchef Wilfried Porth und ich uns jetzt die Ergebnisse packen, uns ins stille Kämmerlein verziehen und wir dann irgendwelche Regeln aufstellen.
Sondern?
Wir wollen jetzt in Workshops an allen Standorten mit rund 800 Beschäftigten die Ergebnisse der Befragung durchdiskutieren. Es ist das erste Mal, dass auf solch einer Grundlage eine Betriebsvereinbarung zustande kommt: Wir wollen die Beteiligung der Mitarbeiter nicht in einer Befragung enden lassen, sondern wir wollen auch bei den Lösungsansätzen die Meinungen der Beschäftigen und der Führungskräfte hören und von ihrer Kreativität und wertvollen Erfahrung profitieren. Mit dieser intensiven Form der Beteiligung der Belegschaft, die auch von der IG Metall begleitet wird, sind wir bei Daimler wirklich absoluter Vorreiter in der Industrie.
Welchen Zeitplan haben Sie dafür?
Bis zum Winter wollen wir die Workshop-Phase abgeschlossen haben. Unser Ziel ist, dass wir bis zum Ende des Jahres die Betriebsvereinbarung vorliegen haben, aber wir lassen uns im Beteiligungsprozess auch nicht hetzen.
Und was konkret könnte da dann drin stehen?
Zum Beispiel könnten wir darin regeln, wie die Zeiten erfasst werden, die außerhalb des Gleitzeitrahmens gearbeitet werden. Wer heute um 21 Uhr nochmal den Rechner zu Hause hochfährt, weil er eine Idee hat, die er gleich realisieren will, kann das nach unserer gültigen Vereinbarung zum mobilen Arbeiten eigentlich nicht erfassen. Gerade weil es auch um Erfassung und Bezahlung von Arbeitszeit gehen wird, soll die Vereinbarung am Ende von IG Metall und Arbeitgeberverband mit unterzeichnet werden. Eine weitere spannende Frage wird sein, ob es ein Anrecht auf mobiles Arbeiten gibt.
Wie ist das bisher geregelt?
Bisher gilt beim mobilen Arbeiten bei uns der Grundsatz der doppelten Freiwilligkeit. Das heißt: Es klappt nur, wenn der Mitarbeiter und der Vorgesetzte das beide wollen.
Plädieren Sie für ein Anrecht auf das mobile Arbeiten?
In der Umfrage haben sich 80 Prozent der Beschäftigten für einen rechtlichen Anspruch auf mobiles Arbeiten ausgesprochen, wenn es die Arbeitsaufgabe hergibt. Das wird einer der Punkte sein, die mit dem Unternehmen am schwierigsten zu diskutieren sind.
Was ist mit der Bemessung von Arbeitszeit beziehungsweise der Ergebnisse?
Das geht nur auf der Grundlage von Vertrauen. Wenn der Mitarbeiter sagt, er hat am Vorabend noch zwei Stunden gearbeitet, muss der oder die Vorgesetzte darauf vertrauen können, dass das stimmt. Ich habe auch Leute, die mir zuarbeiten. Ob sie das zu Hause machen oder im Büro ist mir relativ egal. Mir geht’s darum, dass ich schließlich in den Händen halte, was ich brauche.
Werden von der Betriebsvereinbarung nur die 82 000 Befragten profitieren?
Theoretisch gilt die Betriebsvereinbarung für alle Daimler-Beschäftigten in Deutschland. Aber für diejenigen, die sie aufgrund ihrer Arbeitsaufgabe nicht nutzen können, bringt sie natürlich nicht viel. Darum ist unsere nächste große Baustelle, wie wir auch die Arbeitszeiten der Menschen, die am Band stehen, individueller und nach ihren Bedürfnissen flexibler gestalten können.