Eine Feier mit hunderten Gästen: So wird türkisch geheiratet. Foto: Lichtgut/Achim Zweygart

Laute Musik, viele Gäste, schicke Autos – das gehört zu türkischen Hochzeiten. Junge türkischstämmige Paare heiraten gern sehr traditionell – die Feiern sind meist weniger privat denn gesellschaftliche Ereignisse. Wir waren bei einer Feier in Kirchheim dabei.

Stuttgart - Von draußen sind Motorengeheul und türkische Musik zu hören. Auf einmal sind alle aufgeregt, Aysel Can (Namen geändert) zupft nervös das weiße Tüllkleid ihrer Tochter zurecht – „alles in Ordnung“. Vater Hasan Can begrüßt die Gäste: Händeschütteln, Küsschen, Glückwünsche. Eltern, Bruder und Cousins des zukünftigen Schwiegersohns sind gekommen. „Jetzt werde ich abgeholt“, flüstert Mihriban Can – die Zeit bei ihren Eltern in Fellbach ist vorbei.

Der Bräutigam holt die Braut vom Haus der Schwiegereltern ab

Am Tag der Hochzeitsfeier, so will es die türkische Tradition, holt der Bräutigam seine Braut vom Haus ihrer Eltern ab, zusammen mit seiner Familie. Mihriban Can (33) und Fatih Baydar (34) sind in Deutschland geboren, beide haben hier studiert und arbeiten in Stuttgart – sie als Firmenkundenberaterin, er in der Immobilienbranche.

Sie stehen für eine Generation türkischstämmiger Deutscher, die zwischen den Traditionen ihrer Eltern und dem deutschen Umfeld hin- und hergerissen ist. „Wir wussten lange nicht, wie wir unsere Vorstellungen von einer Hochzeit mit denen unserer Eltern vereinbaren sollten“, sagt Mihriban Can. Sie hätte lieber im kleinen Rahmen gefeiert: „Wie man das eben hier in Deutschland macht.“ Gefeiert wird nun doch traditionell: „Sonst wären viele Verwandte und Bekannte eingeschnappt gewesen.“

Im Wohnzimmer der Cans gibt es Tee und Häppchen. Leicht fällt Hasan und Aysel Can der Abschied von der Tochter nicht: „Es ist schon traurig“, sagt der Vater, „aber wir wissen, dass wir sie in gute Hände geben.“ Die Braut wirkt ruhig – man merkt ihr nicht an, dass der Tag schon frühmorgens begonnen hat, dass sie seit Stunden mit straffer Hochsteckfrisur, Diadem und engem Kleid auf den Beinen ist. Bevor ihr Zukünftiger sie mitnimmt, bindet Seyyid Can seiner Schwester eine rote Schleife um die Hüfte, „zum Zeichen, dass sie ledig war, bevor sie Fatih heiratet“, sagt Hasan Can und schmunzelt: „Eigentlich sind wir nicht so streng, was Traditionen angeht, aber manches haben wir eben übernommen.“

Weißer Lamborghini und schwarzer Bentley

Vor dem Haus von Familie Can steht der schwarze Bentley von Fatih Baydar, dahinter parkt der weiße Lamborghini des Trauzeugen. Zu türkischen Hochzeiten gehören eben auch Statussymbole. Ein paar Nachbarn haben sich versammelt und schauen zu, wie der Bräutigam seine Braut zum Auto führt, wie rote Herzluftballons auf die Rückbank gedrückt und Rosen auf der Kühlerhaube befestigt werden. Mihriban Can kämpft mit ihrem weiten Kleid, dann ist die Autotür zu. Weit kommen die beiden nicht: Die Geschwister und Cousins stellen sich in den Weg, bis der Bräutigam einen Umschlag aus dem Fenster reicht: Wegzoll. Auch eine Tradition, erklärt Fatihs Bruder Mustafa Baydar. Ursprünglich hätten die Geschwister und Nachbarn aus dem Dorf die Braut nur gegen Geld freigegeben.

Vor fünf Jahren haben sich Mihriban Can und Fatih Baydar über Freunde kennengelernt. Kaum jemand wusste von ihrer Beziehung. Erst nachdem Fatih Baydar Vater bei Hasan Can ganz traditionell um die Hand von dessen Tochter angehalten hatte, war das Ganze besiegelt. Eine Gratwanderung zwischen Tradition und Moderne, zwischen türkischer und deutscher Kultur – und zwischen unterschiedlichen religiösen Strömungen in der Türkei. Während die Cans der Glaubensgemeinschaft der Aleviten angehören, sind die Baydars sunnitische Muslime. „Da sind zwei Kulturen aufeinandergeprallt“, sagt Mihriban Can. „Am Anfang hatten wir schon Sorge.“ Unbegründet, wie sich gezeigt hat – die Eltern stimmten zu.

Verliebt, verlobt, verheiratet

Verlobt haben sich die beiden im Mai 2013 schlicht, mit nur wenigen Gästen, „wie das hier eben üblich ist“. Auch die Trauung vor dem Imam fand an Ostern im kleinen Kreis statt. „Wir passen uns an“, sagt Mihriban Can, „mal deutsch, mal türkisch.“ Für die große Feier wurde ein Festsaal gemietet, im Industriegebiet in Kirchheim unter Teck. Knapp 400 Gäste wurden eingeladen, 420 Servietten gefaltet – falls ein Gast noch jemanden mitbringt. 20 000 Euro kostet das Ganze – traditionell zahlt die Familie des Bräutigams. Eine türkische Hochzeit ist eben nichts Privates, sondern ein gesellschaftliches Ereignis. „Wir haben trotzdem eine eher kleine Feier“, so Mihriban Can.

Die Tische im Festsaal sind mit weißen Tüchern, Kerzenleuchtern und silbern funkelnden Tellern gedeckt. Vorn steht ein Podest mit Plüschsesseln. Dort wird das Brautpaar den Abend über thronen. Nach und nach trudeln die Gäste ein und warten auf die Ankunft von Braut und Bräutigam. Hasan Can ist aufgeregt: „Man macht sich Sorgen, ob es allen Gästen gut geht und gefällt.“ Jeder wird einzeln begrüßt, jeder bekommt einen Tropfen Duftwasser auf die Hand. Eine türkische Band macht lautstark Musik. Dann ist es so weit: Das Brautpaar betritt von Blitzlicht und Blumenregen begleitet die große Halle. Applaus und Jubel, bis das Paar zu tanzen beginnt.

Getanzt wird bis in den Morgen

Getanzt wird ab jetzt fast ununterbrochen – ob Sunniten oder Aleviten, ob verschleiert oder nicht. Nur zum Essen und dem Anschneiden der Torte wird das Tanzen unterbrochen – und für die Geschenkübergabe. Eine Schlange bildet sich vor der Bühne, die Gäste überreichen Geld. „Familie Özlem schenkt 200 Euro“, schallt es übers Mikrofon. Applaus, dann sind die Nächsten dran. Geldgeschenke und Gold sind als Startkapital für das junge Paar gedacht. Hasan Can sieht diese Tradition kritisch: „Weil durchgesagt wird, wer was schenkt, ist der Druck hoch.“

Der Stimmung schadet das nicht – das Brautpaar ist zufrieden. „Alle kommen gut miteinander klar“, sagt Fatih Baydar, und auch Mihriban Can ist zufrieden: „Viele haben gelobt, dass die Feier zugleich traditionell und modern ist.“ Wünscht sie sich so eine Hochzeit irgendwann auch mal für ihre Kinder? „Nein, die müssen das nicht mehr so machen. Die sollen das selbst entscheiden.“