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In Stuttgart geht die Debatte über die Bauten von Mies van der Rohe, Le Corbusier und anderen weiter.

Stuttgart - Die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart war und ist weltweit ein historisches Ereignis, Ergebnis und Erlebnis. Die Geschichte der Weißenhof-Siedlung ist jedoch in mehrfacher Hinsicht auch eine traurige, eine zum Nachdenken anregende Geschichte. Und es ist eine, die in die Zukunft weist.

Der Auftakt

Nach Überwindung vieler Schwierigkeiten konnte dank der Bemühungen des damaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Karl Lautenschlager, des damaligen Stadtbaurats Daniel Sigloch, des 1. Vorsitzenden des Deutschen Werkbundes, Peter Bruckmann, und des Werkbund-Geschäftsführers Gustaf Stotz die Siedlung im Rahmen der Ausstellung „Die Wohnung“ des Deutschen Werkbundes am 23. Juli 1927 eröffnet werden. Begleitet von einer gehörigen Portion Skepsis der Stuttgarter, die mehrheitlich der gegenteiligen Gruppe um Bonatz und Schmitthenner zuneigten. Als ob er die zukünftige wechselvolle Geschichte der Siedlung bis heute geahnt hätte, hat Lautenschlager sofort nach Schließung der Ausstellung in einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderats am 7. November 1927 beschließen lassen, „die Siedlung insgesamt im Besitz der Stadt zu belassen, denn wir haben das allergrößte Interesse daran, dass die Häuser in dem Zustand erhalten werden . . .“. Karl Strölin, von den Nationalsozialisten ins Amt gesetzter „Nachfolger“ Lautenschlagers, forcierte von 1933 an anderes: Der „Schandfleck Stuttgarts“ sollte verschwinden. Und so war die Stadt 1939 froh, die Weißenhof-Siedlung an die Staatsregierung Hitler-Deutschlands verkaufen zu können – mit der Aussicht, dass sie abgerissen und das Gelände militärischen Zwecken zugeführt wird. Dazu kam es jedoch nicht. Beschädigt und zerstört wurden einige der Häuser gleichwohl – durch die Luftangriffe der Alliierten 1943 bis 1945 in dem von Hitler-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg.

Der Wiederaufbau

Neuer Eigentümer der Weißenhof-Siedlung wird nach 1945 die Bundesrepublik Deutschland. Der Wiederaufbau geschieht mit Genehmigung der Stadt – und er gerät zur Farce. Unter Missachtung der Ideen und der Regeln des Neuen Bauens der 1920er Jahre erfahren die Gebäude eine späte Nazifizierung. Erstmals 1958 werden einige Gebäude (1968 folgen zwei weitere), 2002 ein Teil der Außenanlagen unter Denkmalschutz gestellt. Angesichts des verheerenden Zustands, des zunehmenden Verfalls der Siedlung wird 1977 zu ihrer Rettung der „Verein der Freunde der Weißenhof-Siedlung“ gegründet. Er schlägt den Rückkauf der Siedlung durch die Stadt vor. Der Bund als Eigentümer sagt Ja, die Stadt und Oberbürgermeister Manfred Rommel sagen Nein. Die Alternative, die Siedlung in gemeinsames Eigentum von Stadt und Bund zu überführen, überzeugt weder den Bund noch die Stadt. Im Zentrum steht das Interesse, die gesamte Siedlung zu sanieren, den Rückbau besonders fragwürdiger Veränderungen sowie die Rekonstruktion der banal „wieder aufgebauten“ Häuser zu erreichen. Tatsächlich werden die vernachlässigten Häuser mit Mitteln des Bundes (drei Millionen Euro) und der Stadt (1,5 Millionen Eujro) saniert.

Neue Impulse

2002 kauft die Stadt dann zwei Immobilien zurück: Das Grundstück gegenüber dem Mies-Bau (Döcker-Haus) und das Doppelhaus von Le Corbusier. Letzteres auf mehr als sanften Druck – die Wüstenrot-Stiftung hat Mittel für die Sanierung in Aussicht gestellt. Tatsächlich gelingt der Kraftakt dank dieses Impulses – am 25. November 2005 wird das Corbusier-Haus als Weißenhof-Museum eröffnet.

Der Streit

Im März 2004 tritt die Bundesvermögensverwaltung an die 16 Mieter von Häusern und Wohnungen heran. Der Bund will die Immobilien verkaufen. Protest formiert sich, am 20. April 2004 findet im Literaturhaus Stuttgart eine Veranstaltung der Stiftung Architekturforum zum Thema „Weißenhof am Ende?“ statt. Ergebnis dieser und weiterer öffentlicher Debatten um mögliche Gefahren einer Privatisierung der Weißenhof-Siedlung: Der Bund stellt seine Verkaufsabsichten zurück. Gegründet werden soll stattdessen eine Stiftung Weißenhof. In diese sollen die privaten Eigentümer, der Haupteigentümer Bund und die Stadt als Eigentümer zweier Objekte ihre Immobilien einbringen. Die Verwaltung der WeißenhofSiedlung soll entweder Aufgabe des Bundes bleiben oder der Stiftung Weißenhof übertragen werden. Acht Jahre später lässt die Stiftung Weißenhof weiter auf sich warten – immer neue Beteiligte verzögern die 2004 begonnenen Dialoge.

Hoffnung Unesco

Parallel zu den wiederholt auf Eis gelegten Debatten über eine Stiftung Weißenhof lenkt die Stadt die Aufmerksamkeit auf ein anderes Feld. Nach der gründlichen Restaurierung des Doppelhauses von Le Corbusier durch die Wüstenrot-Stiftung sollen dieses und das benachbarte Haus desselben Architekten Teil eines transnationalen Antrags werden, das Werk Le Corbusiers in das Weltkulturerbe der Unesco aufzunehmen. Zur Definition schreibt die Unesco, es gehe um die „Erhaltung von Teilen des Kultur- und Naturerbes von außergewöhnlicher Bedeutung als Bestandteil des Welterbes der ganzen Menschheit“. Die Kulturdenkmäler müssen ein „Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft“ darstellen. In die Welterbe-Liste aufgenommen zu werden ist die höchste Auszeichnung, die für den Erhalt des Menschheitserbes vergeben wird. Sie umfasst derzeit rund 880 Denkmäler in 145 Ländern, darunter rund 680 Kultur- und 200 Naturdenkmäler. Ist die Beteiligung am Antrag für Le Corbusier der richtige Weg für Stuttgart und die Weißenhof-Siedlung? Zweifel werden laut. Zum 80-jährigen Bestehen der Siedlung und zum 100. Geburtstag des Deutschen Werkbundes wird ein eigener Vorstoß für die Weißenhof-Siedlung als Ganzes ins Spiel gebracht. Klar scheint jedoch, dass ein solcher Antrag nur Chancen haben würde, wenn zuvor umfangreiche, die gesamte Siedlung betreffende Sanierungen durchgeführt und die Frage der Trägerschaft abschließend geklärt würden.

Die Ablehnung

Die Stadt Stuttgart entscheidet sich 2007 für die scheinbar einfachere und kostengünstigere Alternative, die Beteiligung mit den beiden Le-Corbusier-Häusern am französischen Antrag für den Schutz von insgesamt 22 Corbusier-Bauten weltweit. Im Frühjahr 2009 wird dieser erste Antrag als Nr.1321 auf der Tagung der Unesco, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, in Sevilla behandelt. Nach tagelangen Diskussionen kommt die Ablehnung. Empfohlen werden eine stärkere Betonung der städtebaulichen Einordnung und mehr Präzision in der Definition der Umgebungsgrenzen (buffer zones) in Beziehung zur Topografie. Zudem wird eine Vorsorge für besseren und angemesseneren Schutz und langfristige Pflege (provide adequate protection) angemahnt. Und zuletzt wird eine stärkere Einbeziehung lokaler Autoritäten und kommunaler Einrichtungen in die Verwaltungsprozesse empfohlen.

Ein zweiter internationaler Antrag, wieder unter Federführung Frankreichs, wird mit der Überschrift „Das architektonische Werk von Le Corbusier – ein herausragender Beitrag zur Modernen Bewegung“ 2010 eingereicht. 19 Bauten sind benannt, darunter wieder die zwei Le-Corbusier-Bauten der Weißenhof-Siedlung. Auch dieser Antrag wird abgelehnt – am 28. Juni 2011. Die Enttäuschung über die zweimalige Zurückweisung hält sich in Grenzen, vor allem in Stuttgart.

Die Realität

Die Weißenhof-Siedlung besteht nicht nur aus den beiden Le-Corbusier-Häusern. Es ist eine (Werkbund-)Siedlung zum Thema „Die Wohnung“. Der Zustand der Bauten ist mit wenigen Ausnahmen (Le-Corbusier-Häuser, Mies-van-der-Rohe-Block, wenige der Oud-Häuser) nicht in „Welterbe-Zustand“, zum Teil, vor allem außenräumlich, in verheerendem Zustand. Diese Realität ist im Wesentlichen eine Spätfolge des gedankenlosen Wiederaufbaus in den 1950er Jahren. Und es ist eine Realität, die Bürgerschaft und Kommunalpolitik gleichermaßen als Handlungsauftrag versteh en können.

Das Ziel

Welterbe verlangt nicht Rekonstruktionen, sie müssen jedoch als Spuren der Geschichte gesehen akzeptiert, dargestellt und präsentiert werden. Es stimmt nicht, das die Unesco von den Weltkulturstätten ein monumentales Erscheinungsbild fordere und Ensembles gering schätze. Das Gegenteil ist der Fall. Bescheidene Stätten wie die Pfahlbauten in Unteruhldingen waren hoch willkommen und wurden rasch als Weltkulturerbe anerkannt. Und so muss das Ziel bleiben: einen nationalen, einen Stuttgarter Antrag für die gesamte Weißenhof-Siedlung zu stellen. Stiftungsmodelle funktionieren in vielen Ländern als beste Grundlage für Welterbestätten, vor allem, wenn diese aus mehreren Objekten bestehen. Beispiele sind das Bauhaus in Dessau, Goslar mit seiner Altstadt, der Industriekomplex Rammelsberg im Harz oder die Lutherstätten in Wittenberg und Eisleben. Dieses Modell verspricht auch für Stuttgart und die Weißenhof-Siedlung Erfolg. Und dies ganz unabhängig von der Frage Weltkulturerbe. Das Ziel wäre so weniger der Ausweis Weltkulturerbe, sondern die offene Debatte über das Kulturgut Weißenhof-Siedlung und dessen Schutz. Das Ziel ist mithin eine Rückbesinnung auf die Ideen der Werkbund-Ausstellung von 1927 – als Ausgangspunkt weiterer Überlegungen.