Das ist der italienische Bologneser Flocke. Foto: Weithofer

Unser Autor wollte keinen Vierbeiner, aber dann hat seine Tochter sich durchgesetzt. Über das besondere Herrchen-Hund-Verhältnis.

Stuttgart/Rommelshausen - Flocke heißt sie. Mit Nachnamen Hauptgewinn. Das ist sie vor allem für Theresa. Nichts hat sich die Elfjährige so sehr gewünscht wie einen Hund. Mehr als zwei Jahre lang hat sie sich im Internet und in Büchern über Vierbeiner informiert, Rassen verglichen, sich mit Ernährung, Pflege und Dressur beschäftigt und ein gutes Dutzend Zoohandlungen besucht. Auch die Länge der Leine und die Farbe des Halsbands wurde ausgiebig diskutiert. Auf dem Sonntagsprogramm stand über lange Zeit der Besuch von Tierheimen. Es ist gar nicht so einfach, den richtigen Hund zu finden.

Endlich hat es dann geklappt. In der Tierherberge Donzdorf, Flockes erster Bleibe in Deutschland, nachdem sie von Tierschützern aus Ungarn geholt worden war. Wie alt sie ist, weiß man nicht. Zwischen drei und fünf Jahren vielleicht. Welches Schicksal die Bologneser-Hündin in Ungarn hatte, ist nicht genau bekannt. Nur, dass sie wohl an der Kette gehalten wurde, im Winter bei minus 15 Grad. Am Schluss drohte die Tötungsstation. Das jedenfalls erzählte man Theresa und ihren Eltern in der Donzdorfer Tierherberge. Verstört war Flocke, offenbar traumatisiert, den Schwanz ließ sie hängen, als sie mit dem Mädchen das erste Mal Gassi ging.

Aber bei Theresas drittem Besuch in Donzdorf hatte Flocke, Typ Wischmopp, Vertrauen gefasst. Sie wackelte guter Dinge an der Leine, die schwarzen Kulleraugen erwartungsvoll auf das neue Frauchen gerichtet. Ende Januar zog sie von der Tierherberge – nach Zahlung von 300 Euro und der Erledigung einiger Formalitäten – zu Theresa. Nun lebt sie in Rommelshausen ihr zweites Leben. Nach fünf Monaten ist sie aus Theresas Familie nicht mehr wegzudenken.

Sechs Prozent der Menschen in Deutschland lehnen Hunde ab

Fast zehn Millionen Menschen in Deutschland leben mit einem oder mehreren Hunden im Haushalt. Auch 70 Prozent der Nichthalter mögen die Vierbeiner gern oder sogar sehr gern – nur sechs Prozent lehnen sie ab. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass der Hund positiv auf den Menschen wirkt. Durch sein Aussehen, den Körperkontakt mit ihm, den Austausch. Hunde helfen heilen und werden daher gezielt in der Psycho- und Physiotherapie eingesetzt. Hunde senken die Gesundheitskosten um mehr als zwei Milliarden Euro, haben Studien ergeben.

Und sie können Menschenleben retten: Nach Lawinenabgängen oder Erdbeben sind sie unverzichtbare Unterstützer der Helfer, genauso bei der Suche nach Sprengstoff. Auch bei der Drogenfahndung kommen Hunde zum Einsatz.

Vor kurzem haben Forscher von der Universität Stockholm neue Erkenntnisse veröffentlicht. Danach begleiten Hunde den Menschen schon sehr viel länger als vermutet: 40 000 Jahre. Bislang ging die Forschung davon aus, dass der Hund vor maximal 16 000 Jahren aus dem Wolf hervorging. Hunde haben sich also schon seit Jahrtausenden als treue wie auch nützliche Gefährten erwiesen – auf der Jagd oder zum Schutz der Unterkunft.

An die lange und erfolgreiche Geschichte der Mensch-Hund-Beziehung hatten Theresas Eltern nicht gedacht. Sie waren anfangs überhaupt nicht begeistert vom Wunsch der Tochter. Vor allem der Vater war dagegen. Dessen Großvater war Arzt und sehr auf Hygiene bedacht. Allenfalls Fische im Aquarium waren als Haustiere geduldet. So ein Hund bringt den Alltag nur durcheinander, blockiert Termine und verhindert Urlaube, dachte der Vater. Das Leben ist stressig genug, da braucht man doch nicht noch einen Störfaktor!

Flöhe im Fell, Milben in den Ohren

Doch Theresa hat sich durchgesetzt. Sie hat im Kinderzimmer ein kuscheliges Hundebett eingerichtet, einen weiteren Liegeplatz im Wohnzimmer. Der Fressnapf steht im Flur, in einem Korb vor der Haustür befinden sich Leine, die Leckerli als Belohnung und der Lappen zum Abwischen der Pfoten. Der Hund ist da, jetzt muss man sich auch um ihn kümmern.

Die größte Sorge der Eltern ist zunächst: Ist Flocke stubenrein? Nein, nicht sofort. Sie ist in ihrer neuen Umgebung anfangs viel zu aufgeregt, um den schwäbischen Sauberkeitsansprüchen zu genügen. In den ersten drei Wochen hinterlässt sie so manches braune Häufchen, so manche gelbe Pfütze. Und auch die ersten Nächte sind unruhig. Immer wieder richtet Flocke sich auf und schüttelt sich heftig. Will sie Gassi gehen? Also stapft der Vater um vier Uhr morgens schlaftrunken mit der Hündin durch den Schnee.

Als das nächtliche Schütteln immer heftiger wird, geht es zum Tierarzt. Der findet schnell den Grund des störenden Juckreizes: Flöhe im Fell und Milben in den Ohren. Gegen das Ungeziefer verordnet er Salben und einen Kurzhaarschnitt. Überhaupt ist das mit der Hygiene so eine Sache, da hatte der Großvater schon recht. Ein Hund bringt Staub, Grasreste und Zecken ins Haus. Und wenn es regnet, müssen die Füße vom Dreck befreit werden, am besten in der Badewanne.

Karotten verachtet Flocke

Für Theresa ist die Sauberkeit nicht so wichtig, sie nimmt die neue Mitbewohnerin schon mal mit ins Bett. Der Protest der Eltern wird einfach überhört.

Flocke hat sich mit Rommelshausen inzwischen angefreundet – und die Familie mit ihr. Sie ist stubenrein, gefressen wird zwei Mal am Tag, am Morgen streng riechende Fleischstücke aus dem Napf, am Abend Trockenfutter – für einen besseren Stuhlgang, behauptet Theresas Mutter. Für den kleinen Hunger zwischendurch ein paar Käsewürfel. Karotten verachtet sie. Wenn die Kühlschranktür aufgeht, kommt sie regelmäßig angetrapst, es könnte ja was für sie herausfallen. Bespaßt werden muss Flocke nicht, sie döst gern in einer Ecke.

Der Gedanke, die Hundedame mit dem treuherzigen Blick könne ein Störfaktor sein, kommt dem Vater schon lange nicht mehr. Wenn sie an seinen Beinen hochspringt, fühlt er echte Liebe. Flocke hat den Hundegegner weich gemacht, seinen Fürsorgereflex ausgelöst.

Und das, obwohl es seine Aufgabe ist, am Morgen, so gegen sieben, mit dem Hund Gassi zu gehen, mit der Lederjacke über dem Schlafanzug. Ein Spaziergang, der mittlerweile fast schon etwas Rituelles hat, bei dem Hund und Herrchen stetig Blickkontakt halten. Japanische Wissenschaftler haben herausgefunden, dass so die Bindung verstärkt wird. Fängt ein Hundehalter den Blick seines Haustiers auf, steigt in seinem Körper der Gehalt des Bindungshormons Oxytocin. Gleiches gilt für den Hund beim Augenkontakt mit seinem Herrchen.

Unterrichtsstress ist kein Thema mehr

Mittags, wenn Theresa von der Schule nach Hause kommt, macht Flocke vor Freude hohe Sprünge. Klagen über Kopfweh und Müdigkeit sind von der Tochter nicht mehr zu hören, der Unterrichtsstress ist kein Thema mehr. Nach den Hausaufgaben geht es raus in die Natur. Am Abend ist der Gassi-Geh-Vater wieder dran. Aber ein bisschen Bewegung tut dem auch ganz gut. Dumm nur, dass es unbedingt zur Tagesschau-Zeit sein muss.

Unverzichtbar bei jedem Spaziergang sind die roten Plastiksäckchen, um die Hinterlassenschaften aufzusammeln und in die dafür vorgesehenen Behälter zu werfen. Hundekot liegen zu lassen ist tabu. Leider gibt es manche Nachbarn, die in dem Punkt nachlässig sind.

Die meisten, denen Flocke begegnet, sind begeistert. „Ach, ist die süß“, sagen viele. Die ironische Warnung: „Vorsicht, Kampfhund“ wird lachend missachtet, Flocke oft liebevoll die Hand zum Schnüffeln hingestreckt. Das Herrchen muss zugeben, dass ihn das auch ein bisschen stolz macht.

Kürzlich war er mit Flocke auf dem Schulhof der Tochter dabei, um die Sonnenfinsternis anzusehen. Für ein paar Mädchen war das Naturspektakel auf einmal gar nicht mehr wichtig. Sie knieten sich zu Flocke nieder, um sie zu beschmusen. Der Vater profitierte derweil von deren Augenschutzfolien und betrachtete in aller Ruhe das Himmelsschauspiel.

Lieblingshund der Deutschen: Chihuahua

Seit es Flocke gibt, ist es kein Problem, mit wildfremden Leuten ins Gespräch zu kommen. In den Bäckerladen darf der Hund nicht hinein, aber es findet sich immer jemand, der bereit ist, die Leine kurzfristig in die Hand zu nehmen, während man Brezeln besorgt. Beim Besuch im Altenheim bringt Flocke regelmäßig die Senioren zum Lächeln, und auch bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen avanciert Flocke zum Star. Die sonst so ernst dreinblickenden Bediensteten lassen sich gern ablenken.

Dabei ist der italienische Bologneser gar nicht auf den vordersten Plätzen der Beliebtheitsskala deutscher Hundefreunde zu finden. An der Spitze steht der Chihuahua, danach kommt der Labrador, die französische Bulldogge und der Yorkshire Terrier. Erst auf Platz fünf folgt der deutsche Schäferhund. Der Bologneser rangiert unter ferner liefen.

Am Strand im Urlaub auf Korsika ist Flocke kaum zu bremsen, Theresa wirft ihr bis zur Erschöpfung den Ball zum Apportieren zu, andere Kinder spielen mit. Flocke Hauptgewinn ist längst zum festen Familienmitglied geworden. Ein Leben ohne sie? Undenkbar.