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Jimmi Love ist Leiter des Gospelchors Harlem Praise Family – Im Juli singt der Chor für den Dalai Lama.

Stuttgart - Wenn Jimmi Love die Hand hebt, geht ein Ruck durch das Gemeindehaus der Katharinenkirche. Die Harlem Praise Family, ein Gospelchor, erhebt die Stimme. Es erklingt ein klares dreistimmiges Halleluja, das nach und nach so kräftig anschwillt und laut wird, dass man meint, das Dach des kleinen Gemeindehauses müsse gleich wegfliegen.

Die über 30 Mitglieder des Gospelchors Harlem Praise Family sind Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Frauen mittleren Alters mit geblümten Blusen und eckigen Brillen stehen neben jungen dunkelhäutigen Schönheiten mit zum Turban gebundenen Kopftüchern. Männer in Karohemden und lichtem Haar teilen sich die Bühne mit drahtigen Gestalten in abgewetzten Jeans und zerzauster Frisur. Es sieht so aus, als hätte sich die Belegschaft einer Ausländerbehörde samt Besuchern und Haustechniker spontan dazu entschlossen, gemeinsam zu singen.

Fast wie ein Naturereignis, ein Orkan

Gute Sänger sind die wenigsten der Chormitglieder. Aber zusammen klingen sie wie aus einem Guss, fast wie ein Naturereignis, ein Orkan. Warum das so ist, erklärt Jimmi Love so: „Die Chormitglieder sind mit ganzem Herzen dabei, sie tragen in sich den Heiligen Geist.“

Wobei der Heilige Geist keine Frage der religiösen Überzeugung ist, sondern eher der Hingabe. Jimmi Love ist keiner, der um jeden Preis andere Leute von seinem Glauben überzeugen will. In die Kirche verirrt er sich nur selten. Er lässt jeden nach seiner Fasson glücklich werden. Den Heiligen Geist zu haben, darunter versteht Jimmi Love, mit sich selbst im Reinen zu sein. „Es bedeutet, das Leben, sei es voll Leid oder voll Freude, als ein Geschenk zu begreifen und diese frohe Botschaft in die Welt zu tragen“, sagt er.

Jimmi Love ist ein Künstlername. Der afroamerikanische Musiker und Sänger spricht nicht gerne über sein Privatleben, selbst sein Alter bleibt ein Geheimnis. Aber er macht keinen Hehl daraus, dass er von ganz unten kommt. „Bedenkt man, dass ich in einem Schwarzenviertel in New York aufgewachsen bin, dann ist es ein Wunder, dass ich jetzt als Künstler in Stuttgart lebe und mich mit ihnen auf Deutsch unterhalte“, sagt Jimmi Love.

„Der plötzliche Tod von Melanie Thornton hat mich wachgerüttelt“

Er ist ein Mann von hünenhafter Gestalt, seine dunkle Hautfarbe steht in merkwürdigem Kontrast zu seinen blauen Augen. Von seiner Statur her könnte er auch ein Schwergewichtsboxer sein. Beim Dirigieren des Chors tänzelt er wie ein nervöser Boxer.

In den 90er Jahren kam Jimmi Love mit der Gruppe Golden Gospel Singers nach Deutschland. Damals war die Gospelmusik für ihn eine Show, so wie für die anderen professionellen Gruppen, die mit angeblich authentischem Gospel auf Tour sind. „Mal ehrlich, diese Gruppen kennt in den USA doch kein Mensch“, sagt Jimmi Love. „Echter Gospel, das ist keine Show. Und man muss für Gospel auch nicht schwarz sein.“

Vor der Jahrtausendwende schaffte es Jimmi sogar in die Hitparaden – allerdings nur als anonymer Backgroundsänger. La Bouche war eine dieser Gruppen. Melanie Thornton, die Frontsängerin von La Bouche, starb 2001 bei einem Flugzeugabsturz in der Schweiz. Dass Jimmi Love nicht mit ihr im Flugzeug saß, war reiner Zufall. Er war an diesem Abend für die Golden Gospel Singers auf der Bühne. Die Flugzeugkatastrophe wurde für Jimmi zum Wendepunkt. „Der plötzliche Tod von Melanie Thornton hat mich wachgerüttelt“, sagt er heute. „Mir wurde klar, dass das Leben ein einziges Geschenk ist.“

Die Tage, in denen Jimmi jede Woche in einer anderen Stadt auf der Bühne stand, sind vorbei. Er ist sesshaft geworden. In Stuttgart hat er eine neue Heimat gefunden. „Stuttgart ist im Herzen von Europa, das ist der Ort, an dem ich sein möchte“, sagt Jimmi Love. Er verdient jetzt sein Geld mit dem Komponieren von Songs und mit Englischunterricht für Banker aus der Chefetage.

Im Juli singen Jimmi und der Chor für den Dalai Lama

Gospel singt er heute nur noch, um den Leuten den wahren Kern dieser Musik zu vermitteln. Die Harlem Praise Family nimmt kein Geld für ihre Auftritte. Sie singt in Krankenhäusern, Behindertenheimen oder auf Benefizveranstaltungen. Sie sammeln Geld für Obdachlose und Bedürftige.

Im Juli wollen Jimmi und der Chor nach Indien fliegen und bei der Feier zum 77. Geburtstag des Dalai Lama singen. Wie es dazu kam? Man könnte es einen verrückten Zufall nennen. Oder schlicht ein Wunder. Dabei hatte nur Kunsang Dechen, der Zahnarzt des Dalai Lama, seine Hand im Spiel.

Kunsang Dechen behandelt eigentlich tibetische Flüchtlinge im indischen Ladakh. Einmal im Jahr kommt der Dalai Lama in die bitterarme Provinz im äußersten Norden Indiens. Dort besucht er seine Landsleute und lässt sich bei der Gelegenheit von Kunsang Dechen behandeln. Weil in diesem Jahr der Besuch des geistlichen Oberhaupts der Tibeter auf dessen Geburtstag fällt, wird in Ladakh ein Fest mit zahlreichen tibetischen Volkstanzgruppen organisiert. Kunsang Dechen sitzt im Organisationskomitee.

Im vergangenen Jahr war Kunsang Dechen zu Besuch bei einem Zahnarzt aus Neuhausen auf den Fildern, der seine Arbeit seit vielen Jahren unterstützt. Der nahm Kunsang Dechen zu einem Konzert der Harlem Praise Family mit.

Begeistert lud Kunsang Dechen den Chor zum Geburtstagsfest ein. „Wir werden die einzige westliche Gruppe sein, die für den Dalai Lama singen darf. Das ist eine ganz besondere Ehre“, freut sich Jimmi Love. Für ihn ist der Dalai Lama auch so einer, der den Heiligen Geist hat: „Er trägt das Leid eines ganzen Volkes und strahlt trotzdem diese unglaubliche Lebensfreude aus.“