Die Besucher strömen nicht mehr so zahlreich in die Stuttgarter Innenstadt wie früher – Experten machen dafür auch den ständigen Feinstaubalarm verantwortlich Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Feinstaubalarm und kein Ende: Seit fast zwei Wochen gilt die Warnung durch- gehend, dieser Freitag ist bereits der 51. Tag in diesem Winter. Bei Geschäftsleuten und Touristikern macht sich Sorge breit, denn es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass Gäste wegbleiben.

Stuttgart - Ulrich Reuter findet klare Worte: „Die Luft liegt derzeit wie ein Deckel auf Stuttgart, es gibt keinen Luftaustausch“, sagt der Stadtklimatologe. Es herrsche eine Wetterlage, „wie wir sie vielleicht alle zehn Jahre erleben“. Die Folge: Die Schadstoffwerte steigen massiv – nicht nur in der Landeshauptstadt, sondern auch an vielen anderen Orten. Aber in Stuttgart bedeutet das Feinstaubalarm. Und das bereits seit 15. Januar für Komfortkamine und seit 16. Januar für den Autoverkehr. Fahrer sollen ihre Autos stehen lassen und den öffentlichen Nahverkehr nutzen, für den an Alarmtagen der halbe Fahrpreis gilt. Ein Ende ist bisher nicht abzusehen. Am Donnerstag hat die Stadt angekündigt, dass der Alarm noch mindestens bis Sonntag bestehen bleibt. Es wäre dann der bereits 53. Tag seit Beginn der Alarmierungsphase Mitte Oktober.

Die Stuttgarter Maßnahmen zur Luftverbesserung werden einerseits von vielen Menschen grundsätzlich akzeptiert, haben aber andererseits in der Region und weit darüber hinaus den Ruf als Stau- und Schadstoffhauptstadt zementiert. Das macht Fachleuten inzwischen Sorgen. „Besonders der Begriff Feinstaubalarm ist imagebelastend“, sagt Touristikchef Armin Dellnitz. Der klinge schlicht gefährlich und suggeriere, dass man die Stadt besser meiden solle. In der Region hätten sich die Menschen ein Stück weit daran gewöhnt, „aber überregional tut uns dieses Wort nicht gut“. Dellnitz verweist darauf, dass selbst jeder, der an der Autobahn an Stuttgart vorbeifahre, mit Anzeigen unweigerlich darauf gestoßen werde. „An sich ist die Tatsache, dass etwas unternommen wird, ja etwas Positives“, sagt Dellnitz. Das sei auch völlig in Ordnung, und eigentlich müsse man in den Vordergrund stellen, dass man eine Vorreiterrolle einnehme. Stattdessen bekomme er durch den irritierenden Begriff verunsicherte Nachfragen von Gästen und Reiseunternehmern, ob man überhaupt noch nach Stuttgart kommen könne.

Das sieht auch Sabine Hagmann so: „Stuttgart gilt in der Wahrnehmung mittlerweile als schmutzige Stadt. Manche denken, hierherzukommen sei ein Gesundheitsrisiko.“ Die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbandes Baden-Württemberg berichtet, die Auswirkungen von Verunsicherung und dem Appell, das Auto stehen zu lassen, seien inzwischen durch Kunden- und Umsatzrückgänge an den betroffenen Tagen deutlich spürbar. „Ich habe schon drastische Anrufe von Händlern bekommen. Der ständige Feinstaubalarm schadet uns.“ Es sei zwar möglich, dass der eine oder andere durch verbilligte Fahrkarten in die Stadt komme, der sonst zu Hause geblieben wäre, „aber das wiegt diejenigen, die teilweise nachhaltig verprellt sind, nicht auf.“ Sabine Hagmann kritisiert in diesem Zusammenhang auch die vielen Baustellen und die „schlechte Verkehrsleitplanung“ in der Stadt. Mit OB Fritz Kuhn habe es schon Gespräche gegeben. Man brauche zumindest einen anderen Begriff als Feinstaubalarm. Man beobachte, dass Kunden angesichts des Daueralarms ins Umland abwanderten oder gleich in die Tiefen des Internets.

Die City-Initiative Stuttgart (Cis) hätte sich ebenfalls „eine andere Begrifflichkeit gewünscht“, sagt Citymanagerin Bettina Fuchs. Gerade ausländischen Gästen werde signalisiert, sie sollten wegbleiben. Die Cis kämpft unter anderem mit 10 000 kostenlosen Feinstaubtickets für den Nahverkehr dagegen an. Sie werden von diversen Mitgliedsgeschäften an Kunden verteilt. „Die Aktion läuft sehr gut“, freut sich Bettina Fuchs. Bei einigen der beteiligten Händler gebe es inzwischen keine Fahrkarten mehr.

Beim Verkehrsverbund Stuttgart (VVS) ist man derzeit zufrieden mit der Nachfrage nach verbilligten Feinstaubtickets. An Alarmtagen im Oktober und November habe man eine Fahrgaststeigerung um fünf Prozent verzeichnet, sagt Sprecherin Pia Karge. Die Dezemberzahlen werte man derzeit noch aus. Erfreulich sei, dass viele Institutionen und Unternehmen inzwischen mit im Boot seien. Wer genau die Fahrscheine nutze, ob umsteigende Pendler oder Leute, die nur wegen des günstigen Preises einsteigen, könne man allerdings nicht genau sagen.

Trotz aller Diskussionen um den Feinstaubalarm: Zumindest der Begriff wird sich nicht ändern. „Wir halten daran fest. Er ist in der öffentlichen Debatte eingebürgert“, sagt Rathaussprecher Sven Matis. Das Problem sei nicht der Feinstaubalarm, sondern der Feinstaub. Man appelliere deshalb an alle, etwas für saubere Luft zu tun.

Eigentlich ist das etwas Positives – wenn es denn überall so ankäme.

Die CDU im Landtag kritisiert die Förderung von Elektrofahrzeugen als vermeintliche Feinstaubvermeider in Stuttgart. „Eine Umstellung von Benzin- und Dieselfahrzeugen auf Elektroautos hilft kaum gegen Feinstaub, weil ein Großteil der verkehrsbedingten Belastung unabhängig von der Antriebstechnologie entsteht“, sagen die Abgeordneten Paul Nemeth und Felix Schreiner.

Hintergrund sind Analysen der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) aus dem Jahr 2013, die bereits im Herbst öffentlich geworden sind. Darin heißt es, dass die Feinstaubbelastung am Neckartor zu 46 Prozent vom Straßenverkehr verursacht werde. Allerdings entfallen lediglich sieben Prozent auf Abgase. 39 Prozent entstehen durch Reifen- und Bremsenabrieb sowie durch Aufwirbelungen. Diese Faktoren betreffen auch Elektrofahrzeuge. 22 Prozent kommen von Feuerungsanlagen, vier Prozent von Industrie und Gewerbe sowie 28 Prozent von der „großräumigen Hintergrundbelastung“, die überall auftritt. Bei extremen Lagen wie derzeit „hätten wir keine Chance, den Grenzwert einzuhalten, selbst wenn wir den gesamten Straßenverkehr aus Stuttgart herausnehmen“, folgern die CDU-Abgeordneten. Sie sprechen sich deshalb gegen mögliche Fahrverbote und stattdessen für Investitionen in bessere Fahrzeugtechnologien und bessere Verkehrslenkung aus.

Ganz anders sieht es beim ebenfalls gesundheitsschädlichen Stickoxid aus. Hier macht der Straßenverkehr laut LUBW am Neckartor 72 Prozent der Belastung aus. Verantwortlich sind ausschließlich Abgase. (jbo)

Feinstaubalarm als Besucherschreck