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Mehr als 40 000 Menschen auf der ganzen Welt wollen jedes Jahr ins Guinnessbuch der Rekorde. Die umfangreiche Sammlung von Bestmarken ist selbst Rekordhalter.

Stuttgart - Mehr als 40 000 Menschen auf der ganzen Welt wollen jedes Jahr ins Guinnessbuch der Rekorde. Die umfangreiche Sammlung von Bestmarken ist selbst Rekordhalter. Mit rund 110 Millionen Exemplaren ist es das meistverkaufte urheberrechtlich geschützte Buch weltweit.

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Ashrita Furman (55) schafft es, 40 M&Ms in einer Minute essen - mit Stäbchen wohlgemerkt. In der gleichen Zeit zerdrückt er 80 Eier mit dem Kopf. Er kann so viele Purzelbäume schlagen, dass er damit eine Strecke von 19,9 Kilometer überwindet. Und er hat die weltgrößte Skulptur aus Popcorn gebaut - sie ist knapp 6,5 Meter hoch. Der Geschäftsmann aus New York stand 164-mal im Guinnessbuch der Rekorde, 100 seiner Bestmarken sind immer noch gültig. Auch das ist einmalig. Furman ist Rekord-Rekordhalter.

Seine Gier nach Bestmarken mag extrem sein, neu ist sie nicht. Schon der antike Dichter Homer beschrieb in seinem Epos "Ilias" das menschliche Bedürfnis, "immer der Erste zu sein und voranzustreben vor andern". Daran hat sich bis heute nichts verändert. 40000 Rekordversuche registriert der englische Guinnesbuch-Verlag pro Jahr, 2500 sind es im deutschsprachigen Raum.

Was sind das für Menschen, die für ein paar Momente des Ruhms die skurrilsten Höchstleistungen erbringen? "Es gibt drei Kategorien von Rekordwilligen", erklärt Olaf Kuchenbecker, Redaktionsleiter der deutschen Ausgabe des Guinnesbuchs. "Da sind zum Beispiel Leute, die sich aus reinem Spaß an der Freude verrückte Dinge überlegen."

Das Recht des Ersten

So wie die Amerikanerin Renee Thomas, die in der Brigham Young University in Provo (US-Staat Utah) den größten Schere-Stein-Papier-Wettkampf mit 793 Teilnehmern organisierte. Oder der britische Butler, Joshua Heming, der an dem Berg Lhakpa Ri in Tibet das am höchsten servierte Abendessen ausrichtete.

Eine weitere Kategorie seien Firmen oder Kommunen, die mit ihrem Rekord Werbung für sich machen wollen, erklärt Kuchenbecker. Dazu zählt die Stadt Suurhusen in Ostfriesland, die seit diesem Jahr offiziell den schiefsten Turm der Welt vorweisen kann. Der Glockenturm der evangelischen Kirche ist mit einem Neigungswinkel von etwa 5,19 Grad sogar schiefer als der schiefe Turm von Pisa (5,08 Grad).

Die meisten rekordträchtigen Deutschen gehörten zur dritten Gruppe: den Sammlern. So ist hierzulande unter anderem die weltgrößte Handysammlung (1260 Geräte) und die größte Pinguinsammlung (5098 Tiere) zu finden.

Der Evolutionsforscher Josef Reichholf ist sich sicher: Für den Drang, der Beste zu sein, gibt es eine biologische Ursache. "Schon kleine Kinder laufen um die Wette und rufen ,Erster', wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Auch, wenn sie sich dieses Verhalten nicht bei Erwachsenen abgeschaut haben", sagt er.

Bei Schimpansen sei ebenfalls ein Umschwung vom darwinistischen "Recht des Stärksten" zum "Recht des Ersten" zu beobachten. Bei der Suche nach eiweißreicher Nahrung hat nicht zwingend der Chef der Gruppe ein besonderes Recht auf die Beute. "Oft bekommt derjenige am meisten ab, der das wertvolle Futter als Erstes erreicht", erklärt Reichholf.

Ehrgeiz der Überflussgesellschaft

Wie meistens in der Biologie dreht sich dabei alles um die Fortpflanzung. Der Affe, der sich durch seine Leistung das beste Fressen sichert, produziert die gesündesten Nachkommen. Und sichert sich so die begehrtesten Weibchen. Der Rekord wirkt sich demnach positiv auf das Liebesleben des Rekordhalters aus. Darauf spekuliert auch der neue größte Mann der Welt (2,47 Meter).

"Bislang war es sehr schwierig für mich, eine Freundin zu finden. Tatsächlich habe ich noch keine gehabt. Die Frauen haben in der Regel Angst vor mir", erklärte Sultan Kösen (26), nachdem sein Rekord offiziell anerkannt worden war. "Hoffentlich treffe ich jetzt, wo ich berühmt bin, viele Mädels. Ich will heiraten."

Wem das zweifelhafte Vergnügen extremer Körpermaße verwehrt ist - Kösen verdankt seinen Riesenwuchs einer Hormonkrankheit und kann nur mit Krücken laufen - muss sich etwas einfallen lassen, um durch eine Höchstleistung zu Ruhm und Ehre zu gelangen. "Die heutigen Guinnessrekorde sind vor allem eine Kopfleistung", sagt Reichholf.

Im Klartext: Wer ohne besondere Talente auf die Welt kommt, lässt sich einfach eine Disziplin einfallen, auf die vor ihm noch keiner gekommen ist. "Durch ihren Rekord heben sich solche Menschen aus der Masse heraus und schaffen sich eine ganz neue Form der gesellschaftlichen Hierarchie", erläutert Reichholf.

Der eine macht sich selbst zur Kurzzeitberühmtheit, weil er in einer Stunde 308 Luftballons durch die Nase aufbläst, der nächste, weil er sich in der gleichen Zeit 5255 Meter per Michael-Jackson-Moonwalk fortbewegt.

Die meisten Rekorde werden in den USA, aufgestellt - gefolgt von Japan, Großbritannien und Deutschland. Für den Evolutionsbiologen ist das kein Zufall. Bei aller inneren Verwurzelung mache sich diese Art von Ehrgeiz nur in der Überflussgesellschaft bemerkbar, sagt Reichholf. "In der Kalahari-Wüste käme kein Mensch darauf, Rekorde zu sammeln."

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