Die Carl-Benz-Schule in Bad Cannstatt ist seit zehn Jahren Ganztagsschule Foto: Peter Petsch

Innerhalb kurzer Zeit hat sich die Zahl der Ganztagsschüler an Grundschulen fast verdoppelt. Anfangs waren die Erstklässler-Eltern skeptisch, inzwischen wird Ganztagsschule auch für dritte und vierte Klassen gefordert. Darüber hinaus plant die Stadt eine gezieltere musische Förderung von Grundschülern.

Stuttgart - Der Ganztagsbetrieb ist bei den Eltern der Grundschüler klar im Aufwind. Vor rund vier Jahren hat der Gemeinderat beschlossen, dass alle 72 Grundschulen in Stuttgart zumindest einen Ganztagszug anbieten müssen. Die Eltern nehmen das Angebot gern an: „Wir können nicht an allen Schulen den Elternwunsch zu 100 Prozent berücksichtigen“, sagt Claudia Marcigliano, die Sachgebietsleiterin beim Schulverwaltungsamt.

In diesem Schuljahr sind 143 Ganztagsklassen in Betrieb gegangen, im Schuljahr 2010/11 waren es noch 85. Neu hinzugekommen sind in diesem Schuljahr die Filderschule, die Luginslandschule und die Körschtalschule.

Zurzeit gibt es den Ganztagsbetrieb an acht Schulen verpflichtend für alle (gebunden) und an 13 Schulen wahlweise (teilgebunden). Wo die Eltern die Wahl haben, sei die Ausstattung der Schule ausschlaggebend: „Wenn es zu beengt zugeht, zögern die Eltern eher“, so Claudia Marcigliano. Insbesondere die Erfahrung der Lehrer und Sozialbetreuer mit der neuen Art des Lernens zähle für die Erwachsenen, wenn sie sich für oder gegen ganztags entscheiden.

„Je besser das Ganztagsmodell an der Schule läuft, desto mehr Strahlkraft bekommt es, und desto mehr Anmeldungen gehen dafür ein“, bestätigt Sabine Wassmer, die Gesamtelternbeiratsvorsitzende der Stuttgarter Schulen. Insbesondere dann, wenn die Eltern sähen, dass Ganztagsschule nicht nur Ganztagsbetreuung darstelle, sondern vor allem Ganztagsbildung biete. Wo ein Klassenzug im Ganztagsbetrieb angeboten wird, gibt es nach 14 Uhr keine Betreuungsmöglichkeiten für die Halbtagsschüler mehr; „das wird von Eltern schon noch kritisiert“, so Wassmer. Aber: „Die ganz große Aufregung hat sich gelegt.“

Der Gemeinderat hat den Schulen auf Betreiben der Grünen-Fraktion bei der Gestaltung des Ganztagsbetriebs die Wahl gelassen zwischen sieben und acht Schulstunden an vier Tagen. Bisher haben sich fast alle Schulkonferenzen, wo Eltern vertreten sind, für die längere Variante entschieden. Nur an der Elise-von-König-Schule, einer Gemeinschaftsschule in Münster, wird der Schultag schon um 15 statt um 16 Uhr enden. „Wir halten bei Erstklässlern sieben Stunden für ausreichend“, sagt Renate Schlüter, die Rektorin. Der Schulschluss um 15 Uhr biete Kindern nach dem Unterricht noch genügend Zeit für Hobbys. Sollte sich in den Klassen 3 und 4 herausstellen, dass die Kinder mehr Begleitung brauchen, „können wir immer noch auf acht Stunden aufstocken“.

Wo das Modell gut angelaufen ist, werden die ersten Rufe nach einer Ausweitung des Ganztagsmodells laut. Insbesondere an der Steinenbergschule in Hedelfingen ist der Andrang laut Schulverwaltung sehr groß; dort forderten inzwischen die Eltern der Dritt- und Viertklässler den Ganztagsbetrieb. „Da das Land uns genügend Lehrer zuweist, können wir die Angebote relativ zügig ausdehnen, auf höhere Klassen oder mehrere Züge“, sagt Susanne Eisenmann.

Die Schulbürgermeisterin hat Sportvereine für Sport- und Bewegungsangebote an Schulen gewonnen. Diese Kooperation wird nun um vier kulturelle Angebote erweitert.

Im nächsten Schulhalbjahr kommen Theater-Profis an die Carl-Benz-Schule in Bad Cannstatt und starten ein theaterpädagogisches Projekt. Das Kulturkabinett (KKT), Träger für soziokulturelle Theatergruppen, wird mit der Aufgabe betraut und soll zwei Stunden pro Woche insbesondere mit lustbetonten Übungen die Sprachkompetenz der Schüler verbessern. Das theaterpädagogische Angebot wurde vom Gemeinderat im Dezember als eines von drei Pilotprojekten befürwortet.

Das zweite Pilotprojekt soll an der Raitelsbergschule starten und den Kindern von Klasse 3 an ein medienpädagogisches Angebot machen. In einer mobilen Trickfilmwerkstatt bietet die VHS Stuttgart einen spielerischen Einstieg in Trickfilmtechniken. Die VHS ist seit mehr als 20 Jahren für das Kinderprogramm beim Internationalen Trickfilmfestival zuständig, nun werden die Mitarbeiter zwei Stunden pro Woche aktuelle Themen der Schulkinder aufgreifen und kreativ umsetzen. Das dritte Projekt ist eine Kooperation zwischen Sängerbund Plieningen und der 1. Klasse an der Körschtalschule, die neu einen Ganztagszug eingerichtet hat.

Für musikalisch besonders begabte Kinder plant die Verwaltung darüber hinaus an einer oder mehreren Grundschulen ein Angebot, das als Unterbau für das Schwerpunktfach Musik am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium geeignet sein soll. Die Stadt rechnet mit 100 bis 150 interessierten Schülern. Der Gemeinderat hat der Schulbürgermeisterin für die weiteren Planungen grünes Licht gegeben, nun wird mit dem Land über die Lehrerversorgung verhandelt. Die Elternbeiratsvorsitzende Sabine Wassmer warnt jedoch vor zu großer Spezialisierung: „Ich finde es wichtig, dass an Grundschulen nicht schon sortiert wird. Alle Grundschulkinder brauchen musische Bildung, bei vielen entwickelt sich die musikalische Begabung gerade in dieser Zeitspanne.“

Die Vereine und kulturellen Einrichtungen nutzen ihren Einsatz an Schulen unter anderem zur Mitgliederpflege: Seit der Einführung des achtjährigen Gymnasiums haben die Schüler drei- bis viermal pro Woche Nachmittagsunterricht. Das hält viele davon ab, einen Vereinssport zu betreiben.