Nach der Brandkatastrophe sind Angehörige der Opfer zum Unglücksort geeilt. Foto: AFP/Ozan Kose

Bei dem Großbrand in Istanbul sterben 29 Arbeiter, die mit einer illegalen Renovierung beschäftigt waren. Solche Unfälle seien Alltag in der Türkei, sagen Kritiker.

Die Chefs hatten es eilig. Bis zum Fest am Ende des Fastenmonats Ramadan am kommenden Mittwoch sollte die Verschönerung des Nachtclubs „Masquerade“ im Istanbuler Stadtteil Gayrettepe fertig sein. Mit „Vollgas“ seien die Arbeiten vorangetrieben worden, meldete die Zeitung „Hürriyet“. Doch dann explodierte bei Schweißarbeiten eine Sauerstoffflasche und setzte die Schalldämmung in Brand.

Der einzige Ausgang war laut „Hürriyet“ von einem Rohr für den Dunstabzug bei den Arbeiten versperrt. Deshalb war für die Arbeiter der Fluchtweg blockiert: 29 Menschen verbrannten oder starben an Rauchvergiftung. Solche Unfälle seien leider Alltag in der Türkei, sagte die Gewerkschafterin Arzu Cerkezoglu unserer Zeitung: „Wir opfern jeden Tag drei bis vier Arbeiter.“

Ein klarer Fall von Schwarzarbeit, sagt der Bürgermeister

Nach der Katastrophe von Gayrettepe versichern die türkischen Behörden der geschockten Öffentlichkeit, die Schuldigen würden zur Rechenschaft gezogen. Der frisch wiedergewählte Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu sagte, die Arbeiten in dem Club seien ohne Genehmigung begonnen worden. Weil „Masquerade“ im Untergeschoss liege, sei niemandem aufgefallen, dass dort gearbeitet wurde. Ein klarer Fall von Schwarzarbeit, sagte Imamoglu.

Neun Verdächtige wurden festgenommen, darunter die Besitzer des Nachtclubs und der Inhaber der für die Schweißarbeiten angeheuerten Firma. Einige der Verdächtigen sind laut Medienberichten wegen Körperverletzung, Drogendelikten und sexueller Belästigung vorbestraft; zudem soll es im Club in der Vergangenheit mehrere Schießereien gegeben haben. Die Regierung in Ankara setzte fünf Sonderermittler ein.

Gewerkschaften: Nicht Schicksal, sondern ein Verbrechen

Das Feuer als Vorfall im Mafia-Milieu zu erklären, gehe an der Sache vorbei, sagen die Gewerkschaften. Sie riefen unter dem Motto „Nicht Schicksal, sondern ein Verbrechen“ zum Protest auf. Fast 2000 Tote bei Arbeitsunfällen allein im vergangenen Jahr zählte die Organisation Isig, die sich für Arbeitssicherheit einsetzt; die Zahl der Toten ist damit mehr als dreimal so hoch wie in Deutschland, einem Land mit ähnlich vielen Einwohnern wie die Türkei. Besonders lebensgefährlich sind die Branchen Bau, Verkehr und Bergbau. Bei einem Bergwerksunglück im Jahr 2014 starben mehr als 300 Arbeiter im westtürkischen Soma.

Fehlende Sicherheitsvorkehrungen, schlechte Ausrüstung und die Abwesenheit staatlicher Kontrollen seien normal, sagt Arzu Cerkezoglu, Vorsitzende des Gewerkschaftsverbandes Disk. „Hier herrscht eine Mentalität, die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz nur als Kostenfaktor sieht“, sagte sie. „Für diese Mentalität besteht kein Unterschied zwischen einem Bergarbeiter und einer Maschine in einem Bergwerk, oder zwischen einem Bauarbeiter im 18. Stock eines Neubaus und einer Schraube an einem Aufzug dort.“

Kontrollen sind selten. Zu den offenen Fragen nach dem Feuer in Gayrettepe gehört die nach der Aufsichtspflicht der Behörden. Der Nachtclub war im Untergeschoss eines 16-stöckigen Wohnhauses untergebracht. Anfangs sei dort ein Kino gewesen, gegen die Umwandlung in einen Nachtclub hätten sich die Bewohner gewehrt, sagte Sule Sakat von der Hausverwaltung. Die Behörden hätten ihre Beschwerden ignoriert.