So sollte Olympia 2012 in Stuttgart aussehen. Im Vordergrund das Stadion, umgeben von drei Sporthallen, oben das muschelförmige Schwimmbad, rechts das olympische Dorf. Foto: Stuttgart 2012 GmbH

Die gestohlenen Spiele (1): Ein Jahr lang wetteiferte die Region um Olympische Spiele und blamierte sich dabei.

Stuttgart - Es geschieht selten. Aber dieses Mal waren die Sportfunktionäre ihrer Zeit voraus. Bevor Dieter Bohlen im Fernsehen Stars suchte, hatte das Nationale Olympische Komitee 2002 die Idee zu seiner Seifenoper: Deutschland sucht die Superolympiastadt! Es fand in Hamburg, Leipzig, Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart fünf Kandidaten, die Ruhm und Ehre lockten.

Gut ein Jahr lang wetteiferten die Rivalen, angefeuert von Sportführern wie dem heutigen Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, der bekundete: „Olympia in Stuttgart ist denkbar.“ Was er an den anderen Orten genauso sagte. Also fühlten sich alle bestätigt, man ließ Prominente aufmarschieren, warb um Wahlmänner und gab Geld aus. In Stuttgart waren es am Ende neun Millionen Euro, je ein Drittel zahlten Stadt, Land und Region. So ein Wahlkampf ist nicht billig.

Man bastelte mit dem Geld unter anderem ein Konzept der „kurzen Wege“. Das Herz der Spiele sollte auf dem Cannstatter Wasen schlagen, der sich in den „Olympiapark“ verwandeln sollte. Im Olympiastadion, in drei Sporthallen, einer Schwimmhalle und auf dem Radkurs sollen „44 Prozent aller Entscheidungen fallen“. Unmittelbar neben dem Wasen plante man auf dem 22 Hektar großen Gelände des Güterbahnhofs das olympische Dorf für 16.000 Athleten, Trainer und Betreuer. Auf der neuen Messe auf den Fildern wollte man Ringen, Boxen, Taekwondo, Gewichtheben, Judo und Vorrundenspiele im Volleyball austragen.

Weil im Bindestrich-Land Baden-Württemberg stets neidisch auf die Hauptstadt geschaut wird, durften alle mitspielen

Um die Region einzubinden, durften auch Böblingen, Esslingen, Kornwestheim, Ludwigsburg, Waiblingen, Fellbach, Göppingen und Sindelfingen mitmischen. „Es ist eine Bewerbung der Region, nicht nur der Stadt Stuttgart“, betonte Raimund Gründler, Chef der Bewerbungsgesellschaft Stuttgart 2012 GmbH.Und weil im Bindestrich-Land Baden-Württemberg stets neidisch auf die Hauptstadt geschaut wird, durften alle mitspielen. In Ulm sollte gerudert werden, in Karlsruhe waren die Kanuten eingeplant, in Mannheim sollten die Reiter über die Hindernisse springen, und in Bad Wildbad die Mountainbiker fahren.

Mächtig stolz war man auf dieses Konzept. Punkt für Punkt hatte man das Pflichtenheft des NOK abgearbeitet, schwäbisch korrekt. Und fand es besser als die Pläne der Konkurrenz. Doch dann blieb der Musterschüler sitzen. Eine sogenannte Prüfungskommission vergab Noten für die Konzepte. Hamburg war Erster, Stuttgart Letzter. Letzter? Laut offizieller Sprachregelung gab es nur Gewinner im Ringen um Olympia 2012. Dieter Graf Landsberg-Velen, Chef der Bewertungskommission: „Wir haben fünf Städte, die Olympische Spiele austragen können!“ Dies habe die Bewertung gezeigt, „und alle haben ein glänzendes Ergebnis vorzuweisen“, sagt er. „Sehr gut, kaum besser machbar“ oder gar „hervorragend, nicht besser machbar“, mit diesen Prädikaten adelte der Bericht die fünf Städte.

Merkwürdig allerdings, dass gerade mal Düsseldorf im internationalen Wettbewerb dem K.-o.-Kriterium „Zahl der Hotelzimmer“ genügt hätte. 42.000 davon braucht es in der Kategorie drei bis fünf Sterne, um international eine Chance haben zu können. Alle fanden sich ungerecht behandelt, schlugen wie die Kesselflicker aufeinander ein. Man bezichtigte sich gegenseitig finsterer Umtriebe, um die 70 wahlberechtigten NOK-Mitglieder auf seine Seite zu ziehen. Zur Freude des Publikums. Das sich auf den Höhepunkt freute. Denn es fehlte die Kür des Siegers. Natürlich live im Fernsehen übertragen. Am 12. April 2003 fanden sich im Hilton-Hotel in München alle ein, die im deutschen Sport wichtig sind, und begutachteten die Show der Kandidaten. Stuttgarts OB Wolfgang Schuster stand mit Gipsarm auf der Bühne, die bedeutendsten Menschen der Stadt sah man in einem Film als Comicfiguren, das Stadion dafür in echt – aber leer.

 „Wir können alles – auch Olympia“. Ja, aber wollt ihr auch?

Die Stuttgarter erläuterten Sportstätten. Aber wärmten die Herzen nicht. „Wir können alles – auch Olympia“. Ja, aber wollt ihr auch? Diese Frage stellte das NOK. Darauf fanden weder Schuster noch Gründler noch Ministerpräsident Erwin Teufel eine Antwort. Das war das Manko der Bewerbung. Die Quittung: Evaluierung Rang fünf, Abstimmung Rang fünf. Zu viele glaubten, Olympia sei ein Verwaltungsakt. Um es auf einen Nenner zu bringen: Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee spielte Cello auf der Bühne, Schuster hielt sich am Pult fest. Symbolträchtiger lässt sich der Unterschied zwischen den Bewerbungen nicht ausdrücken.

Man wählte Leipzig nicht nur wegen Tiefensees Auftritt. Auch weil sie sich als Stadt der deutschen Einheit präsentierte, und vor allem weil Bundeskanzler Gerhard Schröder bekundet hatte, dass der Osten dran sei, und das Aufpeppen der Infrastruktur via Olympia doch praktisch wäre.

Also trat Leipzig gegen New York, London, Paris, Madrid und Moskau an und wurde aussortiert. Das IOC fand Betten in ausrangierten Schlafwagen seien keine Hotelzimmer. Die Stadt sei schlichtweg zu klein. Das war das Ende der deutschen Olympiaträume. Nun beginnen heute in London die Spiele, und in Stuttgart und Leipzig sitzt man vor dem Fernseher. Game over.