Nach der Zusicherung der Bundesregierung, die Haftung Deutschlands für den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM sei strikt begrenzt, hat der hannoverische Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg das Vertragswerk analysiert. Sein Ergebnis: Die Begrenzung wird durch etliche Klauseln ausgehebelt. Foto: dapd

Entgegen den Aussagen der Koalition verlangt geplante Euro-Sicherung Deutschland unbegrenzte Haftung ab.

Stuttgart - Während das Bundesverfassungsgericht darüber berät, ob das Parlament durch den dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM entmachtet wird, beruhigt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die Gemüter. Die Annahme, der ESM könne Deutschland in beliebiger Höhe für die Kosten der Euro-Rettung heranziehen, sei falsch. „Die deutschen ESM-Risiken sind klar definiert und auf 190 Milliarden Euro begrenzt.“ Der renommierte hannoverische Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg wollte es genauer wissen und hat den Vertrag unter die Lupe genommen. Das Ergebnis, liest sich erschreckend: Die Begrenzung von Deutschlands Haftung wird komplett ausgehebelt – durch Klauseln, die sich auf den ersten Blick harmlos lesen.

So heißt es in dem Vertrag beschwichtigend, die Haftung eines Mitgliedslandes bleibe „unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt“. Hier kommt es auf den Begriff „Ausgabekurs“ an: Zwar ist das Kapital des ESM in der Tat zunächst auf 700 Milliarden Euro begrenzt – doch dies ist der Nennwert. Beschließt der Gouverneursrat, der den ESM verwaltet, einen höheren Ausgabekurs, ändert sich der Nennwert zwar nicht – doch die Länder müssen dann mehr Geld einbringen, um diesen Nennwert zu erreichen.

Nicht nur die Summe ist nach oben offen, auch Deutschlands 27-Prozent-Anteil muss nicht das letzte Wort sein

Ähnlich trickreich ist die Formulierung, der ESM sei befugt, zur Erfüllung seiner Aufgaben Kapital aufzunehmen. Was harmlos klingt, ist nach Homburgs Auffassung die Einführung von Euro-Bonds durch die Hintertür. Denn für die Kredite, die der ESM aufnimmt und an klamme Staaten weiterreicht, haften die Staaten gemeinsam und Deutschland mit einem Anteil von 27,1464 Prozent am meisten. Mehr noch: Falls Staaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, müssen die anderen auch deren Anteile übernehmen. Nicht nur die Summe ist somit nach oben offen, auch Deutschlands 27-Prozent-Anteil muss nicht das letzte Wort sein.

Doch haben wir nicht einen Bundestag, der darüber befinden muss, wofür das Land seine Steuergelder ausgibt? Dieser ist weitgehend entmachtet, falls der ESM kommt. Denn die Mitgliedsländer haben laut Vertrag keinerlei gesetzliche, gerichtliche oder behördliche Kontrolle. Der ESM muss die Mitgliedsländer nicht einmal darüber informieren, was er mit deren Milliarden macht – auch dann nicht, falls ein nationaler Untersuchungsausschuss einmal wissen wollte, ob bei der Verteilung der Steuermilliarden alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Und selbst wenn sich einmal herausstellen würde, dass ESM-Entscheidungen durch Schmiergeld beeinflusst wurden, wäre dies für den Gouverneursrat kein Problem: Sämtliche Beschäftigten des ESM sollen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben „Immunität von der Gerichtsbarkeit“ genießen.