Taktgeber und nun auch Torschütze im deutschen Mittelfeld: Toni Kroos Foto: dpa

Der Impuls, der die Nationalmannschaft beim 7:1 in den siebten Himmel und Brasilien in die Fußballhölle beförderte, ging von Toni Kroos aus: zwei Tore, zwei Vorlagen, vier im ganzen WM-Turnier. Real Madrid kann sich freuen.

Santo Andre - Es war nur ein Scherz, als Hansi Flick kürzlich die Qualitäten von Toni Kroos hervorhob und sich einen kleinen Zusatz erlaubte. „Er ist enorm ballsicher und kann das Spiel mit seinen Pässen öffnen“, sagte der Assistent von Bundestrainer Joachim Flick. Allerdings, ergänzte er augenzwinkernd: „Am Toreschießen kann er noch arbeiten.“ Gewissenhaft, wie er nun mal ist, hat Toni Kroos das als Auftrag verstanden und gleich umgesetzt. Gegen Brasilien trat er den Eckball, den Thomas Müller zum 1:0 verwandelte. Auch am 2:0 durch Miroslav Klose war er beteiligt. Zum 3:0 und 4:0 traf er selbst: „Ich versuche, der Mannschaft mit meinen Qualitäten bestmöglich zu helfen.“

Dieser Satz ist ein typischer Kroos-Satz. Artig klingt das, wie von einem Internatsschüler: bescheiden, wohlerzogen, sprachlich gewandt. So, wie Kroos halt nun mal ist. Auch am Dienstabend hatte er das Haar eine Spur zu akkurat gekämmt, und er sprach nicht, er dozierte. Ob dies das beste Länderspiel gewesen sei, an dem er teilgenommen hatte? „Das würde ich fast unterstreichen“, sagte er mit professoralem Ton. Ab und zu läuft er Gefahr, altklug zu klingen, etwa wenn er nun volle Konzentration aufs Endspiel einfordert: „Wir sind mit dem Ziel angereist, Weltmeister zu werden. Das ist noch niemand im Halbfinale geworden.“ Auf die Frage, ob er das historische Ausmaß dieses Sieges erfasst habe, blickte er den Fragesteller entgeistert an: „Ja, ich war ja dabei.“

Das Bemühen um Ernsthaftigkeit wirkt bei Toni Kroos skurril, weil er immer glaubt, er müsse die Menschen von sich überzeugen – als ob seine Taten als Vorlagengeber aus dem Mittelfeld nicht für sich sprächen. Lange Zeit taten sie das ja auch nicht, doch jetzt ist Kroos in der Form seines Lebens. Die WM ist zu seiner Bühne geworden. „Toni ist immer anspielbar. Was er macht, hat Hand und Fuß“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. Seine Pässe, gern auch diagonal über 50, 60 Meter, sind zu seinem Markenzeichen geworden. „Die kommen punktgenau“, lobt Miroslav Klose. Vier Tore hat er so schon vorbereitet, wofür die Brasilianer einen speziellen Begriff haben. „Garcom“ nennen sie Spieler wie Kroos, „Kellner“. Leute, die herumwuseln und ihre Kollegen mit Vorlagen bedienen. Und die Gegner, siehe Brasilien, abservieren. „Es stimmt, dass ich gerne meine Nebenleute gut aussehen lasse“, sagt Kroos, „abends lasse ich mich allerdings von ihnen lieber mit Getränken bedienen.“ Dazu muss man wissen: In der Nationalmannschaft müssen die Verlierer von Trainingsspielen beim Abendessen oft die Gewinner mit Drinks versorgen.

Kellner Toni kommt jedenfalls bei dieser WM ganz Kroos raus, und das ist Neuland für ihn. Denn bisher galt der gebürtige Greifswalder als Leichtgewicht, als Bruder Leichtsinn und als einer, dem der letzte Biss abgeht. Das ärgert ihn. „Das war eine meiner besseren Partien“, sagte er am Dienstag, „aber es gab schon viele gute Spiele davor.“

Stimmt, gegen Portugal war er 11,7 Kilometer gerannt, ein Wahnsinnswert bei diesen tropischen Temperaturen. Der deutsche Mannschaftsdurchschnitt lag bei 9,6 Kilometern, Cristiano Ronaldo kam auf 9,1 Kilometer. 88 Prozent von Kroos’ Pässen kamen an, auch das war der Topwert. Doch hinter diesen Zahlen verbarg sich sein wahrer Wert: Er ordnete das deutsche Spiel, trieb es an, stieß immer wieder ins Zentrum vor.

Sein Pech ist nur, dass ihm das Halbfinal-Aus bei der EM 2012 so sehr nachhängt, dass er noch viele gute Spiele braucht. Damals hatte ihn Joachim Löw mit der Aufgabe betraut, Italiens Regisseur Andrea Pirlo auszuschalten. Das ging krachend daneben, Kroos wurde, neben Löw, zum Prügelknaben.

Davon befreit er sich gerade, was wohl niemand mehr freut als die Strategen von Real Madrid. Noch ist angeblich nichts unterschrieben, doch nach der WM wird Kroos wohl ein Königlicher: Rund 25 Millionen Euro sollen als Ablösesumme auf das Konto von Bayern München fließen, wo Kroos einen Machtkampf hinter den Kulissen auslöste. „Ich will Kroos“, hat Trainer Pep Guardiola gesagt. Auch Sportvorstand Matthias Sammer ist ein Kroos-Befürworter. Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge allerdings sträubt sich dagegen, Kroos auf das Gehaltsniveau von Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger zu hieven. Rund zehn Millionen Euro Jahresgehalt soll Kroos’ Berater Volker Struth fordern, der auch Mario Götze betreut – bei dessen Wechsel von Borussia Dortmund nach München hat er ja gesehen, wie viel bei den Bayern finanziell herauszuschlagen ist.

Toni Kroos genießt die Situation – und schweigt dazu. Sollte er an diesem Sonntag Weltmeister werden, explodiert sein Marktwert. Dann müssen beide Vereine noch mehr bezahlen, um ihn zu halten (FC Bayern) oder zu bekommen (Real Madrid). So oder so – es gibt wahrlich schlechtere Alternativen.