Bundestrainer Joachim Löw vor dem Viertelfinale gegen Frankreich: Auf der Suche nach Antworten auf Foto: EPA

Mit Grafik - Die Welt der Nationalmannschaft ist in Unordnung geraten. Jetzt ist der Chef gefordert: Bundestrainer Joachim Löw muss Farbe bekennen und das Personalpuzzle lösen. Egal, wie er entscheidet, das Risiko ist hoch.

Rio de Janeiro - Da hat sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ja fein aus der Affäre gezogen. Vor dem Viertelfinalspiel gegen Frankreich an diesem Freitag (18 Uhr/ARD) in Rio de Janeiro hat er Joachim Löw und dessen Assistenten Hansi Flick der Öffentlichkeit vorenthalten. Stattdessen überließ er auf der letzten Pressekonferenz im Quartier in Santo André dem Torwarttrainer Andreas Köpke die Aufgabe, die bohrenden Fragen der Journalisten zu beantworten. Wo spielt Philipp Lahm gegen Frankreich – weiter im defensiven Mittelfeld, wo er wenige Akzente setzt, oder doch wieder auf seiner Stammposition auf der rechten Abwehrseite? Spielen Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira erstmals bei dieser WM gemeinsam von Beginn an im defensiven Mittelfeld, wo sie 2010 geglänzt hatten?

Alles zum deutschen Team bei der WM gibt es hier.

Falls ja, bilden sie dann im 4-3-3-System zusammen mit Toni Kroos die Zentrale oder fungieren sie sogar wie 2010 als Doppel-Sechs – dann müsste Joachim Löw sein ganzes System auf die altgewohnte und bewährte 4-2-3-1-Grundordnung umbauen. Rückt dann Mesut Özil wieder auf die Zehn? Und darf dann womöglich sogar Routinier Miroslav Klose wieder auf einen Platz in der Startelf hoffen?

Zur größeren Ansicht klicken Sie bitte auf die Grafik.

So wollen sie spielen

Fragen über Fragen, die Fußball-Deutschland heiß diskutiert. Beantworten kann sie nur einer: Joachim Löw. Spätestens eine Stunde vor dem Anpfiff muss er Farbe bekennen. Wie gedenkt er den gallischen Hahn zu rupfen? Unabhängig, wie er sich entscheidet – er kann nur verlieren. Es sei denn, er wird am 13. Juli Weltmeister. Dann, und nur dann, hat er alles richtig gemacht.

Lässt er alles beim Alten, kann er sich kaum dem Vorwurf entziehen, er sei ein Sturkopf, der das Gebot der Stunde nicht erkannt oder keine Antwort darauf gewusst hat – erst recht, wenn es gegen die Equipe Tricolore oder auf dem weiteren Weg schiefgehen sollte. Dann gilt er als Besserwisser, der schlauer sein will als all jene, die ihn gewarnt haben, sein Weg führe ohne personelle Korrekturen in eine Sackgasse.

Zieht er Lahm zurück in die Abwehr oder ändert er gar das ganze System, steht er als Umfaller da. Als einer, der erst auf Druck seiner Kritiker hin reagiert und mitten im Turnier von seinem ursprünglichen WM-Plan und der festen Überzeugung abrückt, nur so klappe es mit dem Titel. Wochenlang hat er der Mannschaft und der Öffentlichkeit seine Strategie mit Lahm im Mittelfeld als alternativlos verkauft und dafür über Nacht das 4-3-3-System eingeführt – jetzt soll alles hinfällig sein?

Anders ausgedrückt: Vor dem Viertelfinale ringt Löw um seine Glaubwürdigkeit. Nach innen und nach außen.

Andreas Köpke macht kein Hehl daraus, dass die Personaldebatte im Trainerstab ein großes Thema ist – wie auch bei den Fans und Experten. „Natürlich wird bei uns kontrovers diskutiert“, sagt der Europameister von 1996 und deutet an, das im engsten Zirkel um Löw ein Umdenken im Gange ist: „Es ist nicht so, dass wir von diesen Dingen nicht abweichen. Wir halten nicht stur an einer Linie fest.“ Das bedeutet, dass es im Trainerstab unterschiedliche Ansichten gibt. „Wir werden zu Lösungen kommen, von denen wir überzeugt sind“, fügt Köpke an, „wir dürfen das vor einem WM-Viertelfinale aber nicht öffentlich machen.“

Dafür ist es längst zu spät, die Diskussionen reichen schon bis tief in die Mannschaft hinein. Lahm sei als Außenverteidiger eine Bereicherung für das deutsche Spiel, betont Torhüter Manuel Neuer: „Ich fühle mich auch wohl, wenn er im Zentrum spielt. Aber im Spiel nach vorn bin ich froh, wenn Philipp rechts spielt. Er belebt unser Offensivspiel, bringt neuen Schwung, macht Druck, bringt mehr Offensivkraft.“

Diese Variante hatte Löw bisher konsequent ausgeschlossen. In einem Interview mit der „Zeit“, das an diesem Donnerstag erschienen ist, betont er: „Ich habe meine Entscheidungen getroffen – auch was die Rolle von Philipp Lahm betrifft. Und dazu stehe ich bis zum Schluss.“ So ist der Eindruck entstanden, Löw sei vor seinen Kritikern eingeknickt, als er Lahm im Spiel gegen Algerien anstelle des verletzten Shkodran Mustafi in die Abwehr beorderte. Das Interview sei aber vor dem Achtelfinalspiel geführt worden, versicherte DFB-Sprecher Jens Grittner. Darin sagt Löw auch, er werde allenfalls „im Notfall“ davon abrücken, Lahm im Mittelfeld aufzustellen. Mustafis Verletzung sei so ein Notfall gewesen.

Löws Kritikern geht es aber um Grundsätzliches. Ehemalige Nationalspieler und Experten nehmen kein Blatt mehr vor den Mund und kritisieren den Personalkurs des Bundestrainers hart, allen voran Armin Veh. „Das Spiel gegen Algerien hat wieder gezeigt, dass Philipp Lahm Außenverteidiger spielen sollte. Einfach, weil er da der Beste ist, den wir haben“, sagt der Trainer des VfB Stuttgart. Auch Felix Magath hält Löws Startformation für falsch. „Für mich ist Benedikt Höwedes kein Linksverteidiger. Er hat nicht die Fähigkeiten, auf dieser Position das Spiel positiv zu beeinflussen“, sagt der Teammanager des englischen Erstliga-Absteigers FC Fulham. Stattdessen fordert er Lahms Rückkehr in die Abwehr – auch gegen dessen Willen: „Es ist die eine Sache, was ein Spieler will. Doch entscheidender ist der Erfolg der Mannschaft – und dieses Team braucht Lahm auf der linken Seite dringender als im Mittelfeld.“

Für einen Wechsel auf den Außenbahnen plädiert Ex-Nationalspieler Stefan Effenberg und fordert den Einsatz von André Schürrle und Thomas Müller anstelle von Mario Götze und Mesut Özil. Und wer spielt dann für Müller vorn in der Mitte? „Da bleibt ja nur noch Miroslav Klose“, sagt Ex-Nationaltorhüter Toni Schumacher. Andreas Brehme, Schütze des Siegtors beim letzten deutschen WM-Titelgewinn 1990, spricht sich für eine Doppel-Sechs mit Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira aus: „Man kann beide sehr wohl nebeneinander spielen lassen. Wenn beide fit sind, ist das eine Bereicherung.“ Fit sind sie laut Andreas Köpke auf jeden Fall: „Beide haben über die Spiele und im Training wieder mehr zu ihrem Rhythmus gefunden, auch körperlich.“

Lahm hinten rechts, Schweinsteiger und/oder Khedira zentral defensiv, Özil zentral offensiv, Müller rechts, Schürrle links, Klose ganz vorn? Das wäre bis auf Schürrle eine Rückkehr zu Personal und Taktik von 2010.

Joachim Löw steht vor einer schwierigen Entscheidung. So oder so!