Von der zweiten direkt in die erste Liga: Auf Trainer Alexander Zorniger warten beim VfB Stuttgart große Herausforderungen. Foto: Getty

Keine leichte Aufgabe für Alexander Zorniger: Der neue Coach des VfB Stuttgart muss als Trainer ohne Bundesliga-Erfahrung gleich eigene Akzente setzen.

Stuttgart - Alexander Zorniger kommt aus Liga zwei, er ist ein Trainer ohne Bundesliga-Erfahrung. Entsprechend groß sind die Herausforderungen, die auf ihn beim VfB Stuttgart warten. Wer’s nicht glaubt, für den empfiehlt sich ein Blick nach Mainz.

Als Thomas Tuchel seinen Dienst bei den Profis des FSV antrat, stellte seine neue Mannschaft den Bundesliga-Novizen gleich auf eine harte Probe. Tuchel zeigte vom ersten Tag an klare Kante. Er schrieb seine wichtigsten Regeln auf eine Tafel, Dinge wie: Handschlag zur Begrüßung, nicht schlecht über andere reden – und: pünktlich sein! Dann fuhr er mit der Mannschaft ins Trainingslager, und was passierte? Kein Spieler hielt sich an die Essenszeit, viele bedienten sich am Büfett, wann sie wollten, und schlurften mit vollen Tellern auf ihre Zimmer. Für den folgenden Tag ordnete Tuchel an: Essen nur noch im Speisesaal. Und was passierte dann? Die Spieler begannen gleichzeitig mit dem Essen – und verdrückten sich nacheinander. Jeder, wie und wann er wollte. Erst als Tuchel für den folgenden Tag die Mindestdauer beim Abendessen auf 20 Minuten festlegte, kam es zu einer gemeinsamen Mahlzeit, die diesen Namen auch verdient hatte.

Dutt gibt sich gelassen

Was uns die Geschichte lehrt? Das Trainer-Dasein ist kein einfaches. Erst recht nicht für einen Neuling wie Thomas Tuchel, der damals vom A-Junioren-Coach zum Cheftrainer aufgestiegen war. Er hat später bewiesen, dass er führen kann. Alexander Zorniger, 2009 VfB-Co-Trainer unter Markus Babbel, muss als Chefcoach erst jene Qualitäten nachweisen, die ihn befähigen, dauerhaft auf höchster Ebene erfolgreich zu arbeiten. Was Robin Dutt keine schlaflosen Nächte bereitet. „Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, dass Bundesliga-Erfahrung nicht unbedingt nötig ist“, sagt der Sportvorstand des VfB Stuttgart.

Ralf Rangnick etwa, der 1999 als Trainer des SSV Ulm 1846 zum VfB kam und ein Jahr später die Qualifikation für den Uefa-Cup schaffte. Oder Jürgen Röber, der sechs Jahre zuvor als Trainer des Zweiliga-Aufsteigers Rot-Weiß Essen zum VfB gewechselt war. Oder Markus Weinzierl, der Erfolgscoach des FC Augsburg. 2012 war er mit der ganzen Erfahrung eines Trainers gekommen, dem gerade mit Jahn Regensburg der Aufstieg in die zweite Liga gelungen war – heute spielt er Europa League. Es gibt aber auch Gegenbeispiele.

Einer wie Oenning fiel gnadenlos durch

Ein besonders krasses stellt Michael Oenning dar, der 2011 vom Co-Trainer zum Chefcoach des Hamburger SV aufstieg. Zwei Jahre zuvor war ihm mit dem 1. FC Nürnberg der Bundesliga-Aufstieg gelungen. Bis zu seiner Entlassung gewährte ihm der Verein ein halbes Praxisjahr. Oenning brachte also Bundesliga-Erfahrung mit – und fiel gnadenlos durch. Oenning, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, habe den Spielern vieles durchgehen lassen, sein Training sei alles andere als einfallsreich gewesen, wodurch er rasch an Autorität einbüßte – auch deshalb, weil er gern als einer der Letzten zum Training erschienen sei. Sogar der Aufstieg mit dem 1. FC Nürnberg wurde eher seinem Co-Trainer Peter Herrmann zugeschrieben als Oenning, dem in Branchenkreisen der Spitzname „Klavierspieler“ vorauseilt, weil er Chopin näherstehe als der Raumdeckung.

Ähnliches ist bei Alexander Zorniger nicht zu befürchten. Der Gmünder steht für all jene Werte, die den modernen Fußball ausmachen – Balleroberung, schnelles Umschalten, Pressing und Gegenpressing, temporeich und aggressiv. Fußball, wie ihn auch Jürgen Klopp, Thomas Tuchel und Joachim Löw spielen lassen – und wie ihn der VfB als künftige Spielkonzeption ausgerufen hat.

Deshalb hat Frank Wormuth grundsätzlich keine Bedenken, was die VfB-Zukunft mit Alexander Zorniger angeht. „Ob Sie Laufwege mit Jugendlichen oder mit 30-Jährigen einstudieren – das Fußballspiel bleibt gleich“, sagt der DFB-Chefausbilder. Entscheidend sei die soziale Kompetenz eines Trainers. „Die Profis bekommen sofort mit, ob er Ahnung hat“, sagt Wormuth, „sie bewerten ihn, wie er sich auf dem Platz gibt und welchen Umgang er mit ihnen pflegt.“ In dieser Hinsicht war RB Leipzig für den streitbaren Zorniger eine gute Schule.

Daum sieht Gefahren für Zorniger

Die Gefahren lauern in anderen Bereichen, zumindest aus der Sicht von Christoph Daum. Mit Wohlwollen hat der VfB-Meistercoach von 1992 das Bemühen des Vereins verfolgt, mit den Fehlern der Vergangenheit aufzuräumen und sich neu aufzustellen. Was ihn stutzig macht, ist die Absicht, Zorniger zum Chef aller VfB-Trainer zu machen. „Das“, befürchtet Daum, „wird ihn überfordern. Er muss die Profimannschaft neu strukturieren und ihre Spielweise modifizieren. Das wird ihn so in Anspruch nehmen, dass er andere Bereiche gar nicht abdecken kann.“ Zumal Dutt in seinem Amt als Sportvorstand ja auch kein alter Hase ist. „Nach den jüngsten Personalentscheidungen kommt es darauf an, Synergien herzustellen. Da wartet eine unheimliche Detailarbeit auf jeden Einzelnen“, prophezeit Daum.

Immerhin: Probleme im Umgang mit Stars wie Michael Ballack, die den Trainer Dutt einst bei Bayer Leverkusen ins Straucheln brachten, sieht Daum für Zorniger nicht. „Stars?“, fragt er, „welche Stars hat denn der VfB?“ Führungsspieler, darauf lässt er sich ein. „Die muss Zorniger einbinden und mitnehmen. Sie und alle anderen wollen keine Saison mehr erleben wie die vergangene. Deshalb wird die Mannschaft an seinen Lippen hängen und ihm erst mal folgen“, sagt Daum – Betonung auf erst mal. Denn zum erfolgreichen Trainer gehören, siehe oben, noch andere Dinge.