Halten die deutsche Abwehr zusammen: Annike Krahn (li.) und Nadine Angerer Foto: AP

Sie ist nicht mehr die Schnellste, aber auch bei dieser WM unverzichtbar: Fußball-Bundestrainerin Silvia Neid hält große Stücke auf ihre Abwehrchefin – und das aus gutem Grund.

Montreal - Es war nur eine kleine Nachfrage, in der es um ihre Abwehrchefin Annike Krahn ging, und schon nahm Silvia Neid eine Kampfhaltung ein wie eine Löwin, die um ihren Nachwuchs fürchtet. „Wehe, es sagt mir noch mal irgendjemand etwas über meine Annike!“, drohte die Bundestrainerin nach dem Sieg im WM-Viertelfinale halb im Ernst, halb im Scherz, „Annike war der Wahnsinn gegen Frankreich, und deswegen spielt sie auch immer, Annike ist halt Annike. Dass sie keine grazile Spielerin ist, wissen wir. Aber das muss sie ja auch nicht mehr werden.“

Die stoische Abwehrchefin aus Bochum hatte in dem Duell, das die Deutschen 6:5 nach Elfmeterschießen gewonnen haben, mit 91 Ballkontakten und unglaublichen 91 Prozent gewonnener Zweikämpfe die Topwerte im DFB-Team. Krahn (29) trotzte dem Angriffswirbel von Les Bleues, sie war der Turm in der Schlacht, die Teutonin. Sie wurde denn auch zur „Spielerin des Spiels“ gewählt, nicht etwa Elfmeterkillerin Nadine Angerer. Krahn sagte zu ihrer Auszeichnung: „Das überrascht mich, ehrlich gesagt, weil ich ja oft von außen kritisiert werde.“ Eine Aussage, die gleichzeitig auch ihre Verletzlichkeit zum Ausdruck bringt.

Kein Wunder, dass Neid vor dem WM-Halbfinale gegen die USA in der Nacht zum Mittwoch (1 Uhr MESZ/ARD live) in Montreal auf ihre Annike – Betonung auf dem langen „i“ – nichts kommen ließ. Krahn gehört zu den sechs Nationalspielerinnen, die seit dem Titelgewinn bei der U-19-WM 2004 unter Neid arbeiten. Aber Krahn spaltet die deutschen Fans des Frauenfußballs. Ihre Kritiker bemängeln ihre fehlende Schnelligkeit, ihre oft hölzern wirkenden Bewegungen und ihr fast nur aus langen Bällen bestehendes Aufbauspiel. Die Schwedin Caroline Seger stichelte vor dem Achtelfinale, das deutsche Innenverteidiger-Duo Annike Krahn und Saskia Bartusiak (32) sei viel zu langsam. „Von mir aus!“, entgegnete Neid in scharfem Ton, „aber Annike ist immer da, sie bekommt irgendwie immer einen Fuß dazwischen. Was sie wegholt und abläuft und wie sie die Mannschaft von hinten organisiert, das ist echt klasse! Auf sie kann ich mich 100-prozentig verlassen.“ Auch Kapitänin und Torhüterin Nadine Angerer verteidigte ihre Innenverteidigung als „sehr smart“. Und: Schon 2013 bei der EM in Schweden steigerten sich die beiden im Turnierverlauf bis zur absoluten Topform.

Im Halbfinale gegen die USA wird Neid deshalb wohl wieder die zuletzt gelbgesperrte Bartusiak an Krahns Seite stellen, auch wenn Babett Peter ihren Job gegen Frankreich ebenfalls gut erledigte. Mit einem Sieg gegen die US-Ladys könnte sich die 122-fache Nationalspielerin Krahn, die an diesem Mittwoch 30 Jahre alt wird, selbst ein schönes Geburtstagsgeschenk machen. Allzu gefühlsduselig wird sie das Halbfinale aber ganz sicher trotzdem nicht angehen.

Krahn ist eher kopfgesteuert. Das zeigen auch ihre Aussagen in den Interviewzonen. Sie sind stets so schnörkellos wie nach dem Frankreich-Spiel: „Die Französinnen sind selber schuld, wenn sie ihre Chancen nicht reinmachen“, sagte sie, „da kann ich ihnen auch nicht helfen. Klar war unser Sieg letztlich glücklich. Aber ehrlich gesagt, das ist mir egal.“ Ein Krahn-Klassiker ist auch die Antwort: „Das ist nicht meine Baustelle.“

Was man der gelegentlich etwas hölzern wirkenden Abwehrchefin gar nicht zugetraut hätte, verriet Kollegin Alexandra Popp während des Turniers in Kanada: Diplom-Sportwissenschaftlerin Krahn hat im Nationalteam die Rolle der „Kleiderfrau“. Sie bestimmt täglich, welche der diversen Trainingsoutfits die Spielerinnen in welchen Kombinationen einheitlich zu tragen haben.

Aus Heimatverbundenheit zieht es die überzeugte Bochumerin nach der WM vom Champions-League-Finalisten Paris Saint-Germain zum Mittelklasse-Bundesligisten Bayer Leverkusen. Aber sie wechselt auch, weil sie nach drei Jahren in der französischen Hauptstadt zuletzt nicht mehr glücklich war. Selbst DFB-Kollegin Josephine Henning, die in Kanada nur auf der Bank sitzt, bekam in Paris den Vorzug. Unklar ist auch, wie lange Krahn im Nationalteam noch unantastbar ist. Neids Nachfolgerin Steffi Jones, selbst einst Innenverteidigerin, gilt nicht gerade als ihr größter Fan. Folglich könnte es gut sein, dass Krahn zusammen mit Neid nach Rio 2016 in der DFB-Elf aufhört. Vielleicht ja sogar als amtierende Weltmeisterin und Olympiasiegerin.