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Nach dem EM-Aus kritisiert unser Kolumnist Hansi Müller die Schiedesrichterwahl der Uefa, um die Zukunft der deutschen Mannschaft ist ihm aber nicht bang. Sofern es Joachim Löw schafft, die Probleme im Sturmzentrum zu lösen. „Mario Gomez allein ist zu wenig.“

Stuttgart - Um ehrlich zu sein: Ich saß nach Spielschluss vor dem Fernseher und habe ein großes Loch in den Nachthimmel gestarrt. Ich kann mich kaum erinnern, wann ich zum letzten Mal so tief enttäuscht war. Ja, schon: Fußball ist ungerecht. Aber nach diesem Halbfinale könnte man an Mächte glauben, die es nicht gut meinten mit unserer Mannschaft. Für mich ist es keine Frage: Das schwächere Team steht im EM-Endspiel. So sehr ich den Franzosen diesen Erfolg auch gönne.

Nicht alles in Frage stellen

Ich warne allerdings davor, jetzt nach dem alten deutschen Muster wieder alles in Frage zu stellen. Natürlich lief aus deutscher Sicht nicht alles rund bei diesem Turnier. Trotzdem war die Mannschaft von Joachim Löw diejenige mit der höchsten spielerischen, technischen und taktischen Qualität. Die Abwehr steigerte sich von Runde zu Runde, das Mittelfeld ist über jeden Zweifel erhaben und selbst im Angriff verfügt der Weltmeister über Top-Spieler. Aber die Decke im Angriff ist leider zu kurz. Mario Götze hat eine sehr schwierige Saison hinter sich. Er kam beim FC Bayern nur sporadisch zum Einsatz, da fehlen dann Spiel-Rhythmus und Wettkampfpraxis. Das lässt sich auf internationalem Niveau nicht so ohne weiteres kompensieren. Thomas Müller fehlte ein wenig die Spritzigkeit und die mentale Frische, um vor dem Tor die entscheidende Millisekunde schneller reagieren zu können als seine Gegenspieler. Als sich Mario Gomez dann noch verletzte, fehlte im Strafraum der Mann, der allein mit seiner physischen Präsenz die Räume für die anderen schafft.

Über den Rest braucht man eigentlich nicht groß zu diskutieren. Es ist einfach Pech, wenn der Schiedsrichter nach Bastian Schweinsteigers Abwehraktion einen Elfmeter pfeift. Ich hätte zu Gunsten des Spielers entschieden. Es ist für mich ohnedies unverständlich, warum die Uefa für dieses wichtige Spiel mit Nicola Rizzoli ein italienisches Schiedsrichterteam ansetzt, nachdem die deutsche Elf im Viertelfinale die Squadra Azzurra aus dem Turnier gekegelt hatte. Ich möchte nichts unterstellen. Aber wer kann garantieren, dass der Unparteiische, bewusst oder nicht, im Zweifelsfall nicht gegen die Elf pfeift, die seinen Landsleuten weh getan hat?

Das Team entwickelt sich weiter

Sei’s drum. Um die Zukunft unserer Mannschaft mache ich mir jedenfalls keine Sorgen. Wenn Joachim Löw in den nächsten zwei Jahren die Baustelle im Sturmzentrum in den Griff bekommt, wird zur Weltmeisterschaft nach Russland ein Team fahren, das gute Chancen hat, den Titel zu verteidigen. Denn die Entwicklung dieser Truppe ist ja noch längst nicht zu Ende. Stützen des Kaders wie Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Toni Kroos, Mesut Özil, Sami Khedira oder auch Thomas Müller sind jung genug, um noch ein paar Jahre im Nationaltrikot dranzuhängen. Und Nachwuchskräfte wie Joshua Kimmich, Anthony Tah oder Leroy Sané werden ihr Potenzial erst noch entwickeln.

Im Sturmzentrum besteht allerdings Handlungsbedarf. Nur auf Mario Gomez zu bauen, wird nicht reichen. Wie oft ging mir dieser Tage unser VfB-Stürmer Daniel Ginczek durch den Kopf. Hätte er nicht dieses Verletzungspech, er wäre schon für diese EM eine Alternative gewesen. Wer weiß, vielleicht schafft er es ja wieder zu alter Klasse. Solche Angreifer werden in Zukunft mehr denn je gefragt sein. Weil Spieler wie sie Antworten liefern können auf die Abwehrbollwerke der sogenannten kleinen Teams, die taktisch und defensiv inzwischen aber hervorragend arbeiten.

Wer jetzt Europameister wird? Frankreich. Aber wehe, wenn Cristiano Ronaldo einen Glanztag erwischt.