Tom Birringer in der neuen Friedrichsbau-Show „Celebrating The King“ Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Elvis lebt! Und das neue Friedrichsbau Varieté kann es beweisen. Mit der Show „Celebrating The King“ wurde das neue Zuhause am Pragsattel am Donnerstagabend eröffnet.

Stuttgart - Totgesagte leben noch! Ab und an bekanntlich länger, am Pragsattel zumindest weiter: das Friedrichsbau Varieté, der neue Nachbar des befreundeten Theaterhauses. Vor zwei Jahren vor dem Aus, erhob sich das Varieté am Donnerstag wieder quicklebendig an neuer Stelle. Die Geschäftsführer Gabriele Frenzel und Timo Steinhauer setzen die über 100-jährige Stuttgarter Varieté-Tradition nun am Pragsattel fort.

Passend zum Überleben der vermeintlich Verblichenen: die Eröffnungsshow „Celebrating The King“. Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“ lässt den Vorhang weichen, die Scheinwerfer zerren den Schmalztollenträger und Elvis-Interpreten Ray Martin vors Publikum. Dieses ist nun übrigens in Reihen, nicht mehr im Halbkreis arrangiert, die über einen Meter hohe Bühne bietet dennoch freie Sicht aus jeder Lage. Die Akustikgitarre um den Hals, legt Martin mit „That’s Alright“ los.

Die Gerüchte um ein Fortleben des Rock’n’Roll-Königs befeuert er damit zwar nicht. Zur lockeren Unterhaltung vor kraft- und atemraubenden Artistikeinlagen taugt seine Show aber allemal. Indes wagt sich Dacia Bridges an Outfits und Titel von Ikonen wie Tina Turner oder Cher. Sie kämpft zu Beginn mit dem Ton, gegen die Playbackband. Später interpretiert Bridges Hits wie „Walking In Memphis“, während Martin beweist, dass er sich auch als Johnny Cash verkleiden kann.

Die Show der Akrobaten begeistert von Beginn an. Nachwuchstalent Valerie Hormes macht den Anfang. Während sie auf den Händen steht, dreht sich der Hula-Hoop-Reifen um ihre Fußknöchel. Später kreiselt einer um jedes ihrer Gliedmaßen. Nicht schlecht für den Anfang, doch noch nichts im Vergleich zu Folgendem. Ebenfalls eine runde Sache: Der in rosa Hemd und Pullunder mehr nach Clown als durchtrainiertem Künstler aussehende Tom Birringer, der im Single-Wheel, einem mannsgroßen Stangenring, alle viere von sich streckend umherrotiert.

Atemberaubend auch der Auftritts des Trio To-Ri-Me. Die drei Absolventinnen der Kiewer Circusschule, Olena Yarmish, Marina Sakhokiya und Tetiana Tryfonova, verschachteln sich ineinander, balancieren mit nur einer Hand aufeinander und verbiegen Arme wie Beine zu Haltungen, die weder Evolution noch göttlicher Körperkonstrukteur vorhergesehen haben können. Auf lockende Kontorsion wie diese muss das Varieté setzen.

Der Bosnier Valentino Bihorac gibt sich beim Werfen und Fangen von Bällen als Latino. „Kein Jongleur spottet jemals der Schwerkraft, doch die Schwerkraft spottet oft des Jongleurs“, sang einst Klavierkabarettist Sebastian Krämer. Abgesehen von einer schnell korrigierten Panne am Premierenabend, lässt Bihorac aber die Gravitation im direkten Duell alt aussehen. Mühelos vollführt er Pirouetten und lässt Utensilien auf Kopf und Schultern aufprallen, nicht jedoch zu Boden gehen.

Zur großen Nummer des Abends avanciert der 1,60 Meter kleine Sebastian Stamm. Der „Mister Pole Dance Germany 2013“ klettert in Jeans und Hemd an einer Stange bis unters Hallendach. Mit schwereloser Lässigkeit übertüncht er die vor Anspannung wohl zu platzen drohenden Muskeln und spaziert, mit einer Hand am Turngerät, in Zeitlupe durch die Höhenluft. Dass man es nicht mit der Angst zu tun bekommt, als er kopfüber an der Stange gen Bühnenboden rast, liegt nicht an matter Inszenierung oder mangelndem Spannungsaufbau. Man weiß längst: der Mann ist zu versiert, um zu stürzen. Nachdem zum Finale Equilibristin Melanie Chy ihr Gewicht auf einer Harley-Davidson hin und her verlagert, schließen Bridges und Martin die Show.

Und zu dieser Show darf man dem umgezogenen Varieté und Regisseur Ralph Sun gratulieren. Freilich: „Celebrating The King“ stellt sich als Etikettenschwindel heraus – man feierte hier nicht Presley, sondern, neben großartiger Artistik, die Wiedergeburtsstunde des Varietés. Und möglicherweise gar das Aufblühen eines „neuen Kulturquartiers in Stuttgart, wie beispielsweise den Broadway“, wie Theaterhaus-Chef Werner Schretzmeier mit der berühmten Stuttgarter Bescheidenheit formuliert. Die wichtigste Erkenntnis bleibt jedoch diese: Varieté-Fans und Kulturretter können aufatmen, ihren Odem wieder ins Staunen investieren – die Show geht weiter.

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