Szene aus „One Moment In Time“ Foto: Friedrichsbau

Das Friedrichsbauvarieté startet mit „One Moment in Time“ in die zweite Spielzeit am Pragsattel. Die Darbietungen überzeugen. Noch aber werden die Einzelperlen nicht ganz zur runden Show

Wie lange braucht man, um sich nach einem Umzug heimisch zu fühlen? Vor einem Dreivierteljahr wirkte das Friedrichsbau Varieté zur Spielzeiteröffnung und Standorteinweihung am Pragsattel noch unvollendet. Das war nach der angestrengten Rettungsaktion zu verzeihen. Die Containeratmosphäre streifte es glücklicherweise bald ab. Herausgeputzt startete es jetzt mit Ralph Suns Regiearbeit „One Moment In Time“ in die zweite Saison in der neuen Heimat. „One Moment In Time“, der von Albert Hammond und John Bettis geschriebene Nummer-1-Hit Whitney Houstons, ist jener bei Siegerehrungen inflationär gespielte Song, der Privatsenderschauern die kampfverzerrte Visage Stefan Raabs ins Gedächtnis rufen dürfte. Ob er obsiegt oder unterliegt, der Titel untermalt stets den Abspann seiner samstagabendlichen Zweikampfsendung.

Mit einer Mann-gegen-Mann-Auseinandersetzung startet auch die Varieté-Show: Die Jongleure Fabio Zimmermann und Carlos Zaspel konkurrieren in ihrer Choreografie um eine einzige Keule: „Two Guys One Club“ nennen sie sich. Jonglage mit nur einem Wurf- und Fangutensil klingt zunächst unspektakulär. Doch während das Ding lichtschwertartig in variierender Couleur leuchtet, bewegen sich die beiden synchron, deuten in Capoeira-Manier Hiebe und Tritte an, springen aufeinander zu und prallen ab. So erweitern die beiden die Disziplin um tänzerische Elemente – das tut ihr gut.

„I Will Always Love You“ ist grandios

Im Zentrum des Abends singt die gebürtige Stuttgarterin Vanessa Tuna, die sich schon als 15-Jährige mit dem Gewinn des „Best European Musician Contest“ der Los Angeles Music Academy hervortat. Auch im Anschluss reüssierte sie in den USA, produzierte zwei Singles mit Hip-Hop-Held Snoop Dogg. Zwischen den Auftritten ihrer Kollegen interpretiert sie nebst Titeln ihres Vorbilds Houston („I Wanna Dance With Somebody“, „All The Man That I Need“) auch eigene wie „The Voice“: eine Hommage an ebenjene vor drei Jahren verstorbene Sängerin. Freilich wirft sie sich dabei in unterschiedliche Garderobe: vom Blümchenkleid über Shirt und Shorts bis zum Goldglitzerfummel. Der tontreffsicheren Tuna fehlt lediglich in tieferen Klangsphären das Stimmvolumen ihres Idols, den Titel „I Will Always Love You“ meistert sie aber grandios.

Eine wirkliche Erzählung oder Reise wie angepriesen erlebt der Betrachter dabei allerdings nicht. Das kärgliche Bühnenbild im Hintergrund zeigt ein aufgeschlagenes Buch samt Eselsohren. Die gezeigten Kapitel sind narrativ bestenfalls lose verknüpft. So räkelt sich Tuna etwa auf einem roten Sessel, größtenteils oberkörperfreie Artisten schmachten sie an. Das Sitzobjekt übernimmt anschließend der Handstand-Akrobat Andalousi und präsentiert darauf zwei- und einarmig sein Können in puncto Equilibristik.

Nichtsdestotrotz unterhalten die längenlosen, zügig wechselnden Einlagen: Der Berliner Clown Gregor Wollny biegt seinen Zollstock zur Giraffe und erzeugt Seifenblasen kraft nasalem Odem. Sein Albern flicht Entspannungspausen vor und nach gebotener Körperkunst ein. Das passt, die Blödelei hat Regisseur Sun gut dosiert.

Einzelleistungen überzeugen

Der Drahtseilläufer Kilian Caso zeigt sich am Premierenabend nach ein, zwei Fehlern sichtlich angefressen. Dass er einen Rückwärtssalto auf dem schmalen Geläuf auf Anhieb bewerkstelligt, scheint ihn anerkennendem Applaus zum Trotz nicht aufzuheitern.

Elizabeth Williams und Howard Katz greifen sich für ihre Darbietung je ein Ende eines dicken, entlang der Hallendecke verlaufenden Taus und lassen sich vom Körpergewicht des anderen in die Lüfte befördern. Katz rückt dabei in den Hintergrund. Das Kreiseln, Steigen und Fallen der US-Amerikanerin Williams bindet die Blicke.

Zweifellos haften die beiden Ukrainerinnen Yana Kapusta und Elena Oleynichuk, „Duo Leya“ genannt, am längsten im Gedächtnis. Sie gehören zu jener Sorte Mensch, die abnorme Verrenkungen beherrschen und sich beim Duschen mit dem Fuß hinter den Ohren schrubben könnten. Gelenke, Sehnen und Konsorten würden, sofern sie dazu in der Lage wären, den beiden Besitzerinnen wohl den Vogel zeigen. Wenn die Absolventinnen der Zirkusakademie Kiew dann zusätzlich zur Kontorsion auch noch aufeinander balancieren, verschluckt man sich vor Staunen schon mal an der Lachsmaultasche, die das Friedrichsbau Varieté serviert.

Obzwar sich also ein Plot, der die Auftritte eint, kaum zu erkennen gibt, überzeugen die Einzelleistungen. Damit kann man leben, auch wenn das Ganze bekanntlich mehr als die Summe seiner Teile ist. „One Moment In Time“ feiert titelgetreu eben einzigartige Augenblicke anstelle eines einträchtigen Gesamtbilds.

Karten unter 07 11 / 2 25 70 70 (Mo bis Fr 11 bis 19 Uhr und Sa 10 bis 16 Uhr