Szene aus „Faust exhausted“ Foto: Tart

Tomo Mirko Pavlovic hat den historischen „Faust“-Stoff neu interpretiert. Zu sehen war sein Stück „Faust exhausted“ in der Regie von Bernhard M. Eusterschulte an Stationen von Sofia bis Stuttgart. Hier eröffnete die bitterböse Theaterreise im Theater Rampe „Ampere“, ein Festival freier Gruppen.

Tomo Mirko Pavlovic hat den historischen „Faust“-Stoff neu interpretiert. Zu sehen war sein Stück „Faust exhausted“ in der Regie von Bernhard M. Eusterschulte an Stationen von Sofia bis Stuttgart. Hier eröffnete die bitterböse Theaterreise im Theater Rampe „Ampere“, ein Festival freier Gruppen.

Stuttgart - Faust ist „exhausted“, erschöpft. Ohne Worte, mit schlaksigen Gesten transportiert er von der Bühne ins Publikum die Frage, ob sie denn nie aufhöre, die Suche nach dem Sinn, der die Welt zusammenhalten soll. „Dance with me“, lockt Faust, aber es gibt keine Musik. Also doch „Premiere? Arbeit?“ Georgi Novakov – er ist Faust – lacht frech, setzt sich auf einen Klappstuhl. Licht aus. Licht an. Novakov steht auf, fummelt am Knopf der Nebelmaschine, wedelt mit dem Stuhl. Im Hintergrund irrlichtert eine rote Laterne. Wuchtiges Glockengeläut, Novakov spricht auf Bulgarisch das Cioran-Zitat „Ich habe nicht im Möglichen, sondern im Unvorstellbaren gelebt“, die Technik übernimmt die Übertragung ins Deutsche.

Nach diesem wunderbar spielerischen Prolog beginnt eine sinnliche, symbolreiche, durch das Babel diverser Sprachen auch irritierende, in ihrer gesellschaftlichen Analyse bitterböse Theaterreise durch Ost- und Westeuropa. Neu interpretiert hat den historischen Stoff Tomo Mirko Pavlovic. Regie an allen Stationen von Sofia bis Stuttgart führt Bernhard M. Eusterschulte von Tart Produktion. Der Abend eröffnete am Donnerstag im Stuttgarter Theater Rampe „Ampere“, ein Festival freier Gruppen.

Faust, der nach Goethe im zweiten Teil seiner Wahrheitssuche eine Katharsis durchleidet, erhält 200 Jahre später Konkurrenz: Die Generation später Söhne kommt aus der Schweiz (Christoph Keller), aus Luxemburg (Nickel Bösenberg). Mit unverbrauchter Energie demonstrieren sie dem Alten (Novakov), wie im Kreislauf des Finanzsystems aus 100 Euro wertlose Münzen werden. Der Alte stopft sie ihnen wie Hostien in den Mund; der Abgrund, in den die Seelen des 21. Jahrhunderts fallen, ist die „selbst verschuldete Unmündigkeit durch Geld“.

Das faustische Zeitalter heute: Bürger werden zu Schuldnern; der Westen dominiert den Osten. Und so kommt die schöne Helena (Margita Goscheva) aus Bulgarien, will nicht mehr „Elena“ sein und sich nicht mehr quer durch Europa prostituieren müssen. Und das Gretchen (Fabiola Dalia Petri), blondbezopft mit schwarzen Lippen, singt seinem toten Kind rumänische Wiegenlieder.

Es ist ein starker Abend mit Überraschungsmomenten. Da zerhauen die wilden Jungen eine Puppe, erwecken sie in einer Plexiglasglocke per Neonleuchte zum Leben. Begleitet wird die Geburt des heutigen Homunkulus durch die Aufzählung monströs klingender Labortechnik. Da durchstoßen Finger den Verschluss eines Nutella-Glases: Helena und Mephisto (Vasil Duev) lecken mit dreckigem Gestöhn („so geil“) vom Symbol westlicher Warenwelt. Eine in Bann haltende Produktion mit starkem Fokus auf Bulgarien („wer kann, geht weg, wer bleibt, züchtet Tomaten“). Und eine Inszenierung, in der nicht nur das Gretchen vergeblich seine Identität zu wechseln versucht und in der niemals auf billige Weise Kapitalismuskritik zelebriert wird. Gibt es Hoffnung? Auf der Suche nach der Antwort wendet sich „Faust Exhausted“ an jedermann.

Täglich bis 6. Juli, je 20 Uhr. Kartentelefon: 07 11 / 6 20 09 09 15.