Die Normandie steht für imposante Steilküsten. Foto: Lerchenmüller

Die Normandie steht für imposante Steilküsten und lange Strände, aber auch für die drei großen C - Camembert, Cidre und Calvados.

Étretat - Majestätisch ragen sie hoch, erhaben und entrückt, die strahlend weißen Kreidewände der Alabasterküste - und sind zugleich lebensgefährlich. Denn gleich hinter der Grasnarbe fällt der Fels senkrecht ab, manchmal ragt sie tückisch noch ein Stückchen darüber hinaus. 100 schwindelerregende Meter tiefer brandet der Atlantik heran, wiegt losgerissenen Tang, raspelt tagaus, tagein mit Steinen am Felssockel und schickt einen betörend frischen Duft von Muscheln und Salzwasser nach oben: Dauernd schnüffelt man in den Wind. Hin und wieder erheben sich weißgraue, von Flechten gelb gepunktete Felsstumpen und Obelisken aus dem türkisen Meer. Frost, Wind und See haben sie in gemeinsamer Anstrengung abgespalten vom Festland.

Dazwischen liegen unzugängliche, halbmondförmige Streifen aus Geröll oder Sand. Irgendwann kommt Étretat in Sicht, eng eingebettet in seine Bucht wie ein Kind in die Wiege. An der Promenade des berühmten Seebads steht die Kopie eines Bildes, das Claude Monet 1885 gemalt hat. Es zeigt die Aiguille de la Fallaise d’Aval, jene Felsnadel, die gleich dahinter 70 Meter hoch aus dem Meer spitzt wie ein Haifischzahn. Berühmt gemacht hat sie der Schriftsteller Maurice Leblanc. Sein „Meisterdieb Arsène Lupin“ zog sich nach seinen vorwitzigen Raubzügen gern in das Innere des angeblichen hohlen Steines zurück und delektierte sich an der geklauten „Mona Lisa“. Dieppe, Le Havre, Cherbourg, Mont-Saint-Michel - man kann die 600 Kilometer lange Küste der Normandie durchaus auf fortlaufenden Wegen abwandern.

Pappeln stehen in Formation

Es ist eine eher sportliche Übung mit einigen Längen dazwischen. Abwechslungsreicher ist es, sich die schönsten Strecken herauszupicken und unterschiedliche Tageswanderungen zu unternehmen. Rund um das Tal der Orne etwa erstreckt sich die Normannische Schweiz. Samtige Wiesen, dichte Raps- und Getreideäcker sind wie Teppiche über sanfte Hügel gebreitet, durchbrochen von knorrigen Eichen und Waldflecken - eine gefällige Landschaft. Dazwischen liegen tiefe Schluchtenwälder, in denen Ahorn, Bergulmen und Ebereschen durcheinanderwachsen. Nach dem Regen ist die Luft süßlich vom Duft nasser Linden, und die schmalen Steinhäuser mit den engen Fenstern wirken noch trutziger als sonst, jedes eine kleine Burg. Bei Clécy ragen die Kalkfelsen Rochers de Parc empor wie ein Balkon, gestützt von grauweißen Pfeilern. Zwischen Ginster, Wacholder und Brombeerranken führt ein vergessener Weg nach oben. Von dort öffnet sich ein weiter Blick: Pappeln stehen in Formation.

Kühe dösen auf den Wiesen, auf denen unregelmäßig verstreut Apfelbäume stehen. Neun Millionen soll es davon geben in der Normandie. In Form von Cidre begleiten sie jedes Menü. Und als Calvados stopfen sie zuverlässig das Trou Normand, das bekannte normannische Loch im Magen zwischen zwei Gängen. Glücklicherweise bleibt neben den Wanderungen immer mal wieder Zeit für eines der hübschen Städtchen. Honfleur etwa, am Ufer der Seine-Mündung, beeindruckt mit der wuchtigen Halle der hölzernen Katharinenkirche, die im 15. Jahrhundert von Schiffszimmerleuten hochgezogen wurde. Von dem Fischereihafen Port-en-Bassin-Huppain fahren immer noch Kutter hinaus. In der Fischhalle liegt auf knirschendem Eis, was der Atlantik hergegeben hat: Seeaale, Rochenflügel, die getüpfelt sind wie Leoparden, silberne Sardinen, schwarz-blaue Makrelen. Und in Bergen türmen sich die köstlichen Austern, die hier gezüchtet werden. Weltbekannt aber ist dieser Abschnitt der Küste nördlich von Caen und Bayeux für seine Vergangenheit: Dies sind die Invasionsstrände.

„Die 100 Tage der Normandie“

Hier fassten die alliierten Truppen am 6. Juni 1944 in Nazi-Europa nach heftigen Kämpfen Fuß. Vor Arromanaches-les-Bains liegen große Betonblöcke im Meer: Aus diesen Elementen bauten die Engländer einen künstlichen Hafen für ihren Nachschub. Im Rundum-Kino läuft auf neun Leinwänden den ganzen Tag „Die 100 Tage der Normandie“: Ein Gottesdienst in einem Boot, Männer, die hinaus ins Wasser waten, während um sie herum Granaten heulen und Maschinengewehre hämmern. Dann rücken die Flaggen der Alliierten vor und drängen das Hakenkreuz zurück.

Die Befreiung Frankreichs in gerade mal 19 Minuten - schweigend verlassen die Zuschauer den Raum. Einige haben Tränen in den Augen. Es sind Bilder wie diese, die den Wanderer auch auf den weiten Sanddünen von Omaha Beach nicht loslassen. An diesem Abschnitt, über den jetzt die Schwalben jagen, starben die meisten amerikanischen Soldaten. Spätestens hier überkommt den Reisenden ein Gefühl der Dankbarkeit. Dankbarkeit denen gegenüber, die auch dafür kämpften, dass er als Deutscher heute hier entlangwandern darf. Und nicht marschieren muss - oder Schlimmeres.

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Infos zur Normandie

Anreise
Mit dem Auto über Paris und Rouen in Richtung Le Havre oder Caen, je nach gewähltem Küstenabschnitt. Die Anreise mit der Bahn über Paris ist etwas umständlich, www.bahn.de

Unterkunft
Hotel de la Marine: Haus am Wasser mit Blick auf die Fischhalle, DZ ohne Frühstück 75 Euro, 5 Quai Letourneur, 14520 Port-en-Bassin-Huppain, www.hoteldelamarine.fr

Hotel de la Marine: Ja, es trägt den gleichen Namen, und ja, es liegt ebenfalls direkt an der Strandpromenade - im Nachbarstädtchen. Auch was die Qualität angeht, sind keine großen Unterschiede auszumachen, DZ ab 61 Euro, Quai de Canada, 14117 Arro manches-les-Bains, www.hotel-de-la-marine.fr

Essen und Trinken
Alain Hastain kocht seit 50 Jahren klassische normannische Küche: In seinem Restaurant L’Attache gibt es z. B. Langustencreme, Andouille im Brickteig, Kalbsnierchen mit Sahnesoße. Da ist kein Schnickschnack dran - nur beste Zutaten und großes Können. 14700 Falaise, sarlhastain@orange.fr

In Loterie bei Clécy macht Régis Aubry seit fünf Jahren Cidre auf ökologische Art. In seinem Betrieb La Cave de la Loterie erläutert er zwischen Abfüllanlage und Obstpresse gern, wie das berühmte Prickeln zustande kommt, www.cavedelaloterie.fr

Hotel de Normandie: Den knurrigen Wirt, der nicht reservieren will, muss man in Kauf nehmen. Aber wenn Meeresfrüchte und Austern so frisch sind . . . Place du 6 Juin 1944, 14117 Arromanches. Wer die Herstellung von Camembert verfolgen will, kann u. a. die Domaine Saint Hippolyte besuchen, www.domaine-saint-hippolyte.fr

Allgemeine Informationen
Comité Régional de Tourisme de Normandie, 14, rue Charles Corbeau, F - 27000 Evreux, www.normandie-tourisme.fr/de