Im Stirlingbau der Staatsgalerie Stuttgart : Foto: Hogers&Versluys/Stedelijk Museum

Es war ein Beben, als die Staatsgalerie Stuttgart 1985 eine Retrospektive zum Schaffen des irischen Malers Francis Bacon zeigte. 31 Jahre später und 24 Jahre nach dem Tod Bacons 1992 wagt die Staatsgalerie noch einmal eine Annäherung – an ein spezielles Thema und doch an den ganzen Bacon.

Stuttgart - Ein knieender männlicher Akt, die Arme weit nach vorne gestreckt, als suchten sie Halt. Ein Mann, der sich anbietet, der sich aussetzt – und der doch alle Macht spürt, seine Umgebung und damit alle aktuellen Zuschauer zu faszinieren. Das ist der Ausgangspunkt. 1958 malt Francis Bacon das Bild „Figur auf einem Podest“. Eine Vorhangstruktur umfasst, bildet, konstruiert den Raum des Auftritts, eine feine weiße Lineatur markiert so zurückhaltend wie unmissverständlich den Aktionsraum der Figur. Es ist eine sehr klassische Pose und vielleicht gerade deshalb eine ewig junge Szenerie: Der begehrte Körper, der doch zugleich als unantastbar geschützt werden muss, um weiter Geheimnis zu bleiben, weiter Lockruf zu sein.

Es ist ein Bild, das auf sehr einfache Weise zeigt, weshalb die nach den frühen 1960er Jahren Ende der 1970er Jahre durch eine zweite Welle an Neuer Figuration aufgewühlte und doch zugleich konzeptorientierte Kunstszene Francis Bacon Mitte der 1980er Jahre auf den unbesetzten Thron des Königs setzen wollte. Bacons Bildwelt ist zugleich sehr jung und ruft doch souverän die Heroen der Kunstgeschichte von Vélazquez bis Picasso auf.

Ungeheure Disziplin bestimmt die Bilder, der Sinnlichkeit des Körpers antwortet das umgebende Raumkonstrukt mit immer wieder verblüffender Strenge. Doppelbödig wie Bacons Figuration sind ja auch seine Raumkonstrukte. Selten sind sie wirklich formal streng oder gar wuchtig. Eher zeigen sie sich zurückhaltend oder gar spielerisch leicht. Eine angedeutete Linie nur, ein Halbrund, auf dem sich balancieren lässt, ein musikalischer Kontrapunkt im Farbraum. Woher rührt aber dann die ungemeine Strenge von Bacons Szenerien, weshalb nehmen wir seine Figuren als Eingesperrte wahr, als Vorgeführte, als Akteure auf nur für die Betrachter offenen Bühnen?

Aus unterstelltem Chaos kann Bacon visuelle Impulse abrufen

Die Staatsgalerie Stuttgart versucht mit der Ausstellung „Francis Bacon – Unsichtbare Räume“ eine Annäherung. Ina Conzen hat die von der L-Bank geförderte und über eine Landesbürgschaft für die wertvollen Leihgaben abgesicherte Schau erarbeitet, und die Partnerschaft mit der Tate Liverpool sowie die enge Zusammenarbeit mit der Francis Bacon Estate ermöglicht ein Bacon-Panorama, das mit der „Kreuzigung“ von 1933 bis hin zum energiegeladenen „Wasserstrahl“ von 1988 mehr als fünf Jahrzehnte umfasst.

Konsequent folgt Ina Conzen dem Maler Bacon an jenen Ort, an dem diese Bilder entstanden sind. 7 Reece Mews im Londoner Stadtteil South Kensington. Von 1961 an arbeitet Bacon hier, in einem engen Atelier, das „kein anderer haben wollte“, wie Bacon später einmal mit leisem Spott bemerkt. Der Maler verwandelt diesen Ort in einen optischen Energiespeicher: Fotos, Illustrierte, Zeitungen, angefangene Bilder, Farben, Pinsel, Bücher, eilige Notizen auf Papieren und allüberall – aus dem unterstellten Chaos kann Bacon jederzeit visuelle Impulse abrufen.

Ist es aber auch die Enge dieses Raumes, die Bacon provoziert, seine Figuren in kulissenhafte Enge zu zwingen? Eher ist die Umkehrung zu unterstellen – dieses Atelier bestätigt den Grundzug in Bacons Schaffen: Über die Gestalt von etwas oder von jemandem hinauszudenken, hinauszugehen. Nicht, um gänzlich Anderes zu schaffen, sondern um den Dingen und den Menschen auf ihren ureigenen Grund zu gehen.

Das große Thema ist die Figur im Raum

Es ist schon diese von Bacon immer wieder gesuchte Anverwandlung nach Innen, die dem Raum in seiner Bildwelt einen Eigenwert gibt. Nicht anders als die Figur (in welcher Überformung, Umformung auch immer) ist für Bacon, als Maler Autodidakt, auch der Raum ein Wesen. Eines zudem, das die in ihm auftretende Figur provoziert, einen Schritt weiter zu gehen als gewollt.

Gerade im konzentrierten Blick dieser Ausstellung wird klar, dass es die Präsenz der jeweiligen Figur ist, die dem Raum seine Intensität gibt. Besonders deutlich wird dies in den Bildern der späten 1960er und mehr noch der frühen 1970er Jahre, als Bacon die eigentlich grelle Farbplatette der Pop-Art nützt und in deren radikaler Anverwandlung in fast plastische Farbräume gemalte Installationen schafft, Ensembles eigentlich, in denen die Figur selbstverständlicher Teil eines Ganzen wird.

Francis Bacon, so scheint es, nützt die Kunst früherer Jahrhunderte und die der eigenen Zeit, wie auch die optische Wunderwelt seines Ateliers – was nützt, kann Impuls sein, kann sich andocken. Umso mehr, als das Grundgerüst da ist, das große Thema der Figur im Raum.

Das Ungeheure dieser Bildwelt zeigt sich nicht in Ungeheuern

Das Triptychon „Drei Studien des männlichen Rückens“ von 1970 eröffnet die Schau im Wechselausstellungsrum des Stirlingbaus. Ein fulminanter Auftakt, dem ein Parforceritt durch Bacons Bildentwicklung folgt, ein Hineinwinden auch in das Atelier im Zentrum der Schau – und damit verbunden auch ein Seitenblick auf den Zeichner Bacon. Alle Enzyklöpädie verfliegt mit den Werken der 1970er Jahre. Allein „Triptychon – Studien nach dem menschlichen Körper“ von 1970 ist mit seiner überragenden Balance aus Intensität und Konzept den Besuch der Schau wert.

Endgültig eins werden Raum und Figur in „Körperstudie und Porträt“ von 1988. Das gemalte Selbstporträt auf der stehengelassenen Leinwand (Bacon arbeitete stets auf der ungrundierten Rückseite, was die bei aller Intensität staunenswerte Distanz seiner Werke noch verstärkt) sitzt auf dem Rumpf eines männlichen Aktes auf, steht für sich und wird doch Teil des Ganzen.

Noch ein Triptychon – „Drei Studien für ein Porträt von John Edwards“ von 1984 – beschließt die Schau. Der letzte Lebensgefährte Bacons sitzt auf einem Hocker. Wegen seiner Homosexualität früh vom Vater verstoßen, erweist sich der Maler, der als selbsterklärter Bohemièn von der Alkohol- bis zur Spielsucht kaum ein Klischee auslässt, als Souverän einer bis heute unerreichten Bildwelt. Das Ungeheure zeigt sich dabei nicht in den Ungeheuern, die diese Bildwelt gebiert. Das Ungeheure ist die konzeptuelle Kühnheit, die sich gerade darin bestätigt, dass sie sich ganz auf die Intensität der Figur einlässt, ja, mit ihr und durch sie ein neues Wesen schafft – den Raum.