Professor Dr. Gerd Nufer lehrt BWL mit Schwerpunkt Marketing an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen und ist Privatdozent für Sportökonomie und Sportmanagement der Deutschen Sporthochschule Köln. Foto:  

Es ist die erfolgreichste Saison für Mercedes. Die Silberpfeile jubeln über den Fahrer- und Konstrukteurstitel in der Formel 1. Marketingexperte Gerd Nufer glaubt, dass das für den Autobauer in Zukunft auch Schwierigkeiten mit sich bringen kann.

Stuttgart - Herr Nufer, schauen Sie sich die Formel 1 regelmäßig an?
Ja, natürlich. Und auch das Saisonfinale am gestrigen Sonntag.
Mercedes ist ja nun da angekommen, wo es nach eigenem Empfinden hingehört: Weltmeister in allen Kategorien. Wie wichtig ist es für den Konzern, Red Bull als Branchenprimus abgelöst zu haben?
Es scheint sehr wichtig zu sein. Doch ich frage mich, weshalb die Formel 1 für Mercedes jahrelang vergleichsweise unwichtig war. Warum die Marke nach anfänglichen Erfolgen in den 50er Jahren jahrzehntelang außen vor und nach dem Wiedereinstieg in den 90er Jahren eher ein Zweitligaspieler in dieser Rennsportserie war? Wenn ich mich in der Champions League des Rennsports engagiere, sollte ich als selbst ernannter Star unter den Automobilen auch vorne mitspielen und nicht nur Mitläufer sein. Das hat Mercedes erst seit 2010 mit seinem eigenen Werkteam umgesetzt. Mit Michael Schumacher hat es zunächst nicht auf Anhieb geklappt, aber jetzt ist Mercedes an der Spitze angelangt.
Haben die vergangenen drei Jahre, als man im Schatten von Konkurrent Red Bull stand, an Mercedes genagt?
Mit Sicherheit. Die Platzierungen der vergangenen Jahre haben nicht zum Selbstverständnis und Anspruch der Marke gepasst. Ich beobachte das Sportsponsoring von Mercedes schon seit längerem. Auch im Fußball hat das Unternehmen immer den klaren Plan verfolgt, ein Star zu sein. Man hat deshalb bewusst keinen Bundesligisten gesponsert, obwohl der VfB Stuttgart nur einen Steinwurf von der Produktionsstätte entfernt ist, sondern hat lieber auf die Nationalmannschaft gesetzt. Aus gutem Grund: So läuft man nicht Gefahr, als Nummer eins unter den Automobilen einem negativen Ausstrahlungseffekt zu unterliegen, weil man einer wöchentlichen Bundesliga-Tabelle ausgeliefert ist, in der der gesponserte Verein womöglich nicht immer ganz oben zu finden ist.
Wobei das Engagement von Mercedes im Fußball zusehends verwässert.
Das weiß ich nicht. Sie denken vermutlich an den VfB: Erst die Unterstützung beim Stadionbau samt Namensgebung und danach der zaghafte Schritt, mit der Mercedes-Bank, also nicht mit dem Kerngeschäft, aufs Trikot zu gehen. Das kann man aber auch als schrittweises Herantasten sehen. Ich rechne hier mit dem nächsten Schritt.
Der wäre?
Auf der Brust des VfB Stuttgart wird sicher irgendwann Mercedes-Benz stehen – ohne den Zusatz Bank. Das wäre endlich ein klares Bekenntnis zum Verein.
Kommen wir zurück zur Formel 1: Der Leitspruch von Mercedes ist „Das Beste oder nichts“. Kann so ein Slogan nicht auch zu einem Bumerang werden?
Ja, das kann er. Zwar wird auch von Bayern München nicht unbedingt erwartet, dass sie jede Saison die Champions League gewinnen. Wenn es aber ein paar Jahre mit Erfolgen nicht mehr klappt, könnte einem solch ein Leitspruch tatsächlich um die Ohren fliegen. Allerdings wird das bei Mercedes in der Formel 1 nicht der Fall sein, wenn es gleich im nächsten Jahr nicht mit der Titelverteidigung klappen sollte.
Apropos WM-Titel: Hilft der Erfolg Mercedes, nun mehr Autos zu verkaufen?
Wenn er Mercedes nicht hilft, wem dann? Eines der Sponsoringziele ist neben der Imageverbesserung die Leistungsdemonstration des Unternehmens und seiner Produkte. Wenn ich also Autos verkaufe und dann in der welthöchsten Rennsportserie im selben Jahr den Fahrer- und Konstrukteurstitel hole, dann sollte das auch positive Effekte auf die eigenen Autoverkäufe nach sich ziehen. Der Erfolg wird Mercedes sicher helfen. Da hatte es Red Bull in den vergangenen Jahren vergleichsweise schwerer.
Inwiefern?
Red Bull verkauft Energy-Drinks und keine Autos. Da muss das Unternehmen erst für den Kunden eine Brücke bauen, um zu zeigen, dass ein Engagement in der Formel 1 zur Marke passt. Mittlerweile ist das in den Köpfen verankert – Sie wissen: Red Bull verleiht Flügel. Wenn man dagegen als Unternehmen im Kerngeschäft schnelle Autos verkauft, ist man in dieser Rennserie grundsätzlich vollkommen richtig und muss nicht erst eine solche Brücke bauen. Deshalb habe ich mich auch darüber gewundert, dass Mercedes jahrelang nicht in der Formel 1 mit einem eigenen Werkteam vertreten war.
Das Invest in die Formel 1 von 60 Millionen Euro im Jahr zahlt sich für Daimler-Benz aus?
Diese Frage ist schwer zu beantworten. Das würde voraussetzen, dass man ökonomische und psychologische Wirkungen der Unternehmenskommunikation genau den eingesetzten Instrumenten zuordnen kann, was jedoch nahezu unmöglich ist. Mercedes setzt ja nicht nur auf Sponsoring in der Formel 1, sondern auf eine integrierte Marketingkommunikation – und wird wohl selbst nicht genau nachvollziehen können, welcher Einzelbaustein exakt welche Wirkung erbringt.
Aber der WM-Triumph hat Einfluss auf die Marke.
Natürlich. Ich will Ihnen mal ein Beispiel nennen: Opel hatte in den 80er Jahren nicht zuletzt aufgrund des Kadett das Image eines Rentner-Autos, in dem auf der Hutablage eine umhäkelte Klopapierrolle liegt. Von diesem Image wollte Opel weg. Deshalb stieg das Unternehmen als Fußballsponsor beim FC Bayern München ein. Und tatsächlich: Mit dem Firmenschriftzug auf dem Trikot der Bayern ist Opel eine Verjüngung des eigenen Images gelungen. Aber: In den Jahren als Hauptsponsor hat der Konzern deutschlandweit trotzdem kein Auto mehr verkauft als in den Jahren zuvor.
Es hat sich nicht gelohnt?
So würde ich das nicht sehen. Denn Opel war vor dem Beginn der Sponsoringpartnerschaft auf dem Sinkflug. Da es dem Unternehmen durch das Sponsoring gelungen ist, zumindest das Absatzniveau zu halten und parallel das Image deutlich zu verbessern, war die Partnerschaft mit Bayern München unterm Strich erfolgreich.
Jetzt hat Mercedes nicht das Image wie Opel Ende der 80er Jahre.
Das nicht. Aber die Marke hat bisweilen auch ein leicht angestaubtes Image. Die Kundschaft von Mercedes gehört eher zur älteren Klientel. Attribute wie jung, dynamisch und sportlich bringt man zurzeit eher mit Audi oder BMW in Verbindung. Diese beiden Autobauer haben durch ihren Marketing-Mix – in diesem Fall insbesondere durch das Zusammenspiel von Produkt- und Kommunikationspolitik – Mercedes aktuell in diesen Imagedimensionen überholt.
Konkurrenz gibt’s nicht nur auf dem Automarkt, auch im Cockpit wird mit harten Bandagen gekämpft. Mercedes hat mit Werbespots versucht, die Rivalität von Nico Rosberg und Lewis Hamilton mit viel Selbstironie aufzufangen. Ein guter Plan?
Es ist zumindest der richtige Weg, damit umzugehen. Bei allem Erfolg in dieser Formel-1-Saison waren doch gerade die übertriebene Rivalität der beiden Fahrer mit der Nicht-Beachtung einer Stallorder als Höhepunkt Attribute, die dem Sieger-Image von Mercedes geschadet haben. Das heißt: Trotz einer sportlich kaum zu toppenden Saison gab es Negativschlagzeilen. Die PR von Mercedes hat es gut geschafft, diese Problematiken ironisch ins Positive umzumünzen.
Wird Mercedes nun wieder mehr als Sportmarke wahrgenommen?
Ich denke schon. Ein wichtiger Schritt dorthin ist gemacht. Das muss ja auch eines der Hauptziele sein, wenn ich mit einem eigenen Werkteam in der Formel 1 an den Start gehe.
Welchen Tipp hätten Sie noch für das Unternehmen?
Mal keinen Marketing-Ratschlag, sondern einen sportlichen: Ich würde keine zwei Alpha-Tiere als Fahrer beschäftigen. Die Außendarstellung ist so zu sehr von dieser Rivalität geprägt, was zu Schwierigkeiten führen kann, wie man gesehen hat. Man kann auch ohne zwei Ausnahmefahrer, mit einer klaren Hierarchie im Team, zugleich den Fahrer- und Konstrukteurstitel holen, wie es schon andere Teams bewiesen haben.