Joan Baez' Gitarrenspiel veränderte den Folk - Anspruch an und auf "Wahrhaftigkeit".
Stuttgart - Links vor der Bühne ein Plattenspieler aus den 1960er Jahren, auf dem sich Joan Baez' Live-Album "In Concert (Part 2)" von 1962 lautlos dreht. Unten steht die Plattenhülle. Eine Tänzerin tritt von hinten ins Licht. Sie lässt ihre Schuhe fallen, sie ist ungeschminkt. Mit den ersten Tönen von "Once I Had A Sweetheart"geht das Saallicht aus.
2002 hat Anna Teresa de Keersmaeker sich selbst dieses Stück geschenkt - "Once". Eine getanzte Antwort auf Leben als Erinnerung, eine Annäherung an das eigene wie an das fremde Leben, das doch wie das eigene an ein zweites Leben geknüpft ist - das der Schwester. Mehr als alle langatmigen Interviews macht de Keersmaekers "Once" deutlich, wie unmittelbar in Joan Baez' Leben Privates und Politisches verschränkt sind. Baez' Stimme ist in "Once" wunderbar distanziert, entkleidet fast. So begründet die Tänzerin und Choreografin de Keersmaeker die Magie, die schon die ersten Auftritte von Joan Baez 1959 kennzeichnet. Geschichte,
Legende - es gibt kaum passende Worte für das Leben, für das Werk einer Sängerin, deren gerne unterschätztes Gitarrenspiel den Folk veränderte. Und deren Anspruch an und auf "Wahrhaftigkeit" vielleicht am deutlichsten auf dem Album "Live In Italy" von 1970 spürbar wird. Joan Baez, getragen von den Rufen nach Veränderung, auf der Woge eigener Begeisterung über ein Europa, das in ganz anderer Weise in Bewegung ist als das US-Amerika, in deren Südstaaten sie 1965 noch den freien Zugang von Schwarzen zu ihren Konzerten erstreiten muss. Weitere 40 Jahre später steht Joan Baez, die an diesem Sonntag 70 Jahre alt wird, noch immer auf der Bühne (2011 absehbar nicht in Deutschland, im März aber in Straßburg). Hören jene ihr noch zu, die eilfertig das Maß an Botschaft kritisieren? Anna Teresa de Keersmaeker hat sehr genau zugehört. Ihr "Once" endet mit Joan Baez' "Battle Hymn Of The Republic", und auf dem Körper der Tänzerin flackern Kriegsbilder.