Filmemacher Uwe Pelger (li.) und Joachim Stall Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Vor 25 Jahren hat der aus Siebenbürgen stammende Uwe Pelger Rumänien verlassen. Jetzt erzählt er seine Geschichte und die seiner Freunde in dem Dokumentarfilm „Freiheit in Kinderschuhen“, den er mit Joachim Stall produziert hat.

Stuttgart - Herr Pelger, Herr Stall, fangen wir mit einer Frage an, die Sie am Ende Ihres Films stellen: Was heißt für Sie Freiheit?
Pelger: Freiheit ist, wenn ich meine Meinung sagen darf, ohne schlimme Konsequenzen befürchten zu müssen. Wenn ich den Radiosender hören darf, den ich möchte. Wenn ich mich frei entfalten darf.
Stall: Ich sehe das ähnlich. Aber es fällt schwer, Freiheit zu definieren, wenn man auf der Insel der Glückseligen sitzt. Im Prinzip haben wir alles. Deshalb ist es gut, an eine Zeit zu erinnern, in der es anders war.
Pelger: Und daran, dass es Leute gab, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um dort hinzukommen, wo wir heute sind.
Weil Ihnen diese Freiheit gefehlt hat, haben Sie, Herr Pelger, Rumänien vor 25 Jahren den Rücken gekehrt?
Pelger: Ja, das fing schon damit an, dass wir in Rumänien nicht jede Musik hören durften. Ein Bekannter von mir bekam Schulverbot, weil er Led Zeppelin gehört hat.
Wie kamen Sie an die Musik?
Pelger: Wir haben Radio Freies Europa mitgeschnitten. Der Sound war erbärmlich, und die russischen Störsender haben uns die Arbeit nicht leicht gemacht.
Warum haben Sie einen Film gemacht, mit dem Sie kein Geld verdienen werden?
Pelger: Ich fing vor vier Jahren an, Lieder zu machen. In dem Song „Free und Forgotten World“ habe ich meine Erinnerungen verarbeitet und wollte daraus ein Hörspiel machen. Ich dachte, das könnte ich allein stemmen. Dann lief mir zum Glück Joachim Stall über den Weg, der sagte, lass uns doch einen Film machen.
Stall: Mir war gleich klar, dass das Thema bestens für einen Dokumentarfilm geeignet ist. Vor allem erreichst Du mit einem Film mehr Leute als mit einem Hörspiel.
Pelger: Wir wollen mit dem Film Gespräche anstoßen. Wie war das geteilte Europa? Was ist das freie Europa?
Wer hat den Film bezahlt?
Stall: Wir hatten ehrenamtliche Helfer. Das Geld für Reisekosten und Spesen kamen über ein Crowdfunding zusammen, wir haben im Internet Geld gesammelt.
Pelger: Und wir haben am Stand der Siebenbürger auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigsburg Suppe verkauft.
Und wie viel kam zusammen?
Pelger: Knapp 3000 Euro. Damit sind wir gereist, nach Siebenbürgen, zu Herrn Genscher, Herr Köhler, Herr Maffay.
Stall: Filmmaterial kostet zum Glück nichts mehr. Man speichert alles auf Festplatte.
Herr Stall, die Motivation von Herrn Pelger verstehe ich, er kommt aus Rumänien. Was hat Sie getrieben?
Stall: Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Und mich hat das Thema „Frieden und Freiheit“ schon immer bewegt. Die Chance, darüber einen Dokumentarfilm machen zu dürfen, wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Herr Pelger, warum hat es 20 Jahre gebraucht, bis Sie Ihre Geschichte verfilmt haben?
Pelger: Als ich in den Westen kam, bin ich in die Schule gekommen, dann zur Bundeswehr. Ich hatte keine Hand frei, um mich mit meiner Herkunft zu beschäftigen. Die Brücke in meine Heimat hat sich erst wieder aufgebaut, nachdem ich Kontakt zu alten Freunden aufgenommen hatte.
Sie waren 20 Jahre lang nicht in Rumänien?
Pelger: Ich bin erst mit 40 wieder zurück. Und ich bin froh, dass ich es getan habe. Was mich auch motiviert hat, den Film zu drehen, war, dass ich nach der Finanzkrise den Eindruck hatte, dass Europa wieder auseinanderdriftet. Da ich schon ein geteiltes Europa erlebt habe, dachte ich, ich müsse mal sagen, wie das mit einer Teilung tatsächlich ist.
Eine junge Frau fragt im Film: „Warum sind alle weg? Jetzt kann man doch hierbleiben.“ Warum sind Sie damals weg?
Pelger: Meine Eltern hatten früher schon die Ausreise beantragt, das war jedes Mal mit Schikanen verbunden. Als Anfang der neunziger Jahre das Loch im Eisernen Vorhang aufgegangen war, hatte ich kein Vertrauen, dass das so bleiben wird. Außerdem lebten viele Familienmitglieder im Westen, die wollte ich besuchen.
Herr Stall, für Sie war Rumänien eine neue Welt. Was haben Sie beim Dreh gelernt?
Stall: Dass der Unterschied zwischen Ost und West teils noch gewaltig ist. Und dass die Gegensätze im Osten größer sind als bei uns. Da gibt es Leute, die hausen in einfachsten Verhältnissen, und andere, die leben im Luxus wie wir. Wir sind offen und zuvorkommend empfangen worden. Es läuft nicht alles so geplant wie bei uns, aber es läuft. Die Rumänen haben ihre Tradition, aber sie sehen sich auch als Europäer.
Es ist viel von Aufbruchstimmung die Rede.
Stall: Die gibt es. Wir zeigen auch, dass es auch einen Weg zurück gibt. Wir haben eine pensionierte Ärztin aus München getroffen, die sich in Rumänien niedergelassen hat, weil sie für sich dort eine Perspektive sieht.
Pelger: Ich bin froh, dass ein Siebenbürger-Sachse die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Ich glaube, dass er gegen die Korruption vorgehen wird.
Im Film sind Interviews mit dem Alt-Bundespräsidenten Horst Köhler, dem Ex-Außenminister Hans-Joachim Genscher und dem Rockmusiker Peter Maffay eingestreut. War es schwer, die Gesprächspartner zu bekommen?
Pelger: Bei Genscher, den wir in Bonn-Bad Godesberg besucht haben, war es einfach. Am schwierigste war es, bei Maffay einen Termin zu bekommen.
Ihre Art zu reden, erinnert an Maffay.
Pelger: Das ist unsere Mundart. Wir kommen aus einer ähnlichen Ecke.
Stall: Dadurch war gleich ein Vertrauensverhältnis da. Zuerst hieß es, wir hätten eine Stunde Zeit, um mit Maffay zu reden. Dann wurden daraus anderthalb Stunden.
Wie darf man den Filmtitel „Freiheit in Kinderschuhen“ verstehen?
Pelger: Der ist doppelbödig gemeint. Als ich hierher kam, steckte ich noch in Kinderschuhen. Also musste ich die Freiheit erst erlernen. Jetzt muss man sich mit denen auseinandersetzen, die nun in den Kinderschuhen stecken. Man muss unseren Kindern sagen, dass Freiheit nicht selbstverständlich ist.
Herr Pelger, können Sie sich vorstellen, jemals nach Rumänien zurückzukehren?
Pelger: Ich würde das nicht ausschließen. Wenn das Vertrauen da ist, warum nicht.
 

„Freiheit in Kinderschuhen“ läuft heute, Montag, 19 Uhr, im Dietrich-Bonhoeffer-Gemeindezentrum in Stuttgart-Weilimdorf, Wormser Str. 23. Der Eintritt ist frei. Schulen, die den Film sehen wollen, wenden sich an: www.freiheitinkinderschuhen.de